Löscht den Geist nicht aus!
Predigt von Dompfarrer Schnuderl beim Dankgottesdienst
„Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du das vor den Weisen und Klugen verborgen und es den Unmündigen offenbart hast.“
Ehrlich gestanden: ich habe mir überlegt, ob ich aus gegebenem Anlass nicht doch ein anderes Evangelium für diesen Gottesdienst auswählen sollte – etwa das Gleichnis am Ende der Bergpredigt über das Bauen des Hauses auf Fels (Mt 7,24-27), oder das Sprichwort aus dem Johannesevangelium: „Einer sät und ein anderer erntet“ (Joh 4,37); oder Jesu Versprechen: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“ (Mt 18,20) aus der Jüngeraussendungsrede. An den vergangenen Sonntagen sind uns ja beim Gottesdienst Teile daraus verkündigt worden.
- Das gerade gehörte Evangelium stellt mit seinem einleitenden Lobpreis einen Abschluss dieser großen Rede dar, und den will ich Ihnen – will ich uns - nicht vorenthalten: „Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du das vor den Weisen und Klugen verborgen und es den Unmündigen offenbart hast.“
Wer ist mit den „Weisen und Klugen“ und mit den „Unmündigen“ gemeint? Das Evangelium gibt einen Einblick in Jesu Auseinandersetzung mit der Frömmigkeit der Pharisäer und Schriftgelehrten und in die Situation der frühen Kirche[1]: denken wir an die spöttische Ablehnung der Areopagrede des Paulus durch Bürger von Athen (Apg 17,32).
Das Evangelium wendet sich nicht gegen Bildung, Wissenschaft, Theologie und das Streben, „Denken und Glauben“ zueinander zu vermitteln, sondern (nach der Deutung durch den emeritierten Bischof von Limburg, Franz Kamphaus) gegen „eine bestimmte Haltung… - nicht der Gebildeten, sondern der Eingebildeten. Es meint die Leute, die sich für so klug halten, dass sie vorgeben, genau über Gott Bescheid zu wissen, und darum meinen, mit Gott fertig zu sein.“
Die mit dem Wort „unmündig“ Gemeinten: „sind mit Gott nicht fertig. Sie ahnen, dass seine Gedanken größer sind als unsere, dass seine Wege über unsere Wege hinausgehen.“[2] Für solche Menschen, die noch staunen können, preist Jesu seinen Vater und verkündet: „Selig, die arm sind vor Gott!“ (Mt 5,3). - Hoffentlich sind auch wir damit gemeint!
- Liebe Gottesdienstgemeinde!
In der Literatur, auch in der Heiligen Schrift, gibt es bekanntlich den Typus der Abschiedsrede. Ich verstehe diese Predigt nicht in einem solchen Sinn! Ich nehme ja nicht Abschied vom Dom, sondern nur von einer verantwortlichen Aufgabe – und das mit guten Wünschen für meinen Nachfolger.
Auch will und kann ich keine Bilanz über die vergangenen acht Jahre ziehen. Wohl aber möchte ich im Sinn dieses Evangeliums Gott und Ihnen, der Domgemeinde, danken „für Ihre Gemeinschaft im Dienst am Evangelium“ (Phil 1,3f) und dem Bischof für das Vertrauen, das er in mich im Jahr 2015 durch die Ernennung zum Dompfarrer gesetzt hat.
Es ist mir bald bewusst geworden, dass sich die Innenstadt und damit auch unsere Pfarren in den letzten Jahrzehnten sehr verändert haben. Die jetzt verfügten neuen personellen Gegebenheiten sind eine Folge davon. Die Pfarre als Gemeinde von Glaubenden soll aber bestehen bleiben, und das heißt: sie darf nicht nur ein Rechtstitel oder eine Baulast sein. Die Beschreibung der Pfarre von Kardinal Lehmann ist nicht überholt: „Leibhaftigkeit, Personalität und Präsenz vor Ort gehören eigentlich zur katholischen Kirche. Wo Menschen geboren werden, wo sie den Bund fürs Leben geschlossen haben, wo sie ihre Eltern betrauert haben, das ist der Ort, der kann nicht ersetzt werden.“[3]
Es war und ist die Aufgabe des Pfarrgemeinderates und des Wirtschaftsrates am Dom, dafür Sorge zu tragen, dass die Pfarre „keine hinfällige Struktur ist“, sondern als „eine kirchliche Präsenz“ dort erfahren wird, wo man lebt.[4] Ich danke den Mitgliedern dieser Gremien und unserer Pfarrsekretärin für ihren Einsatz!
Niemand von uns hat die Epidemie der vergangenen Jahre vorhergesehen, aber sie hat ihre Auswirkungen gezeigt. Auch wenn auf kurze Zeit die öffentlichen Gottesdienste nicht gefeiert werden konnten und sich die Gottesdienstgemeinde etwas zerstreut hat: der Dom ist – wie die meisten anderen Kirchen - als Stätte des Gebetes offen geblieben und in seiner Schönheit nach der großen Renovierung wieder ein Zeichen des Glaubens, das die Botschaft Jesu Christi sowohl den Gläubigen in den Gottesdiensten, als auch vielen Touristen, die die Kathedrale besuchen, verkündet.
Ich danke unseren Mesnern; ich danke besonders Frau Resi Frühwirth für den Blumenschmuck in der Kirche, ich danke der Dommusik – den Domkapellmeistern und Organisten, den Sängern und Instrumentalisten - den Lektoren und Kantoren, den – leider wenigen - Ministranten und den Priestern, besonders den Mitbrüdern im Domkapitel und aus dem Jesuitenorden, für ihren Dienst; dankbar bin ich auch Frau Elfriede Frühwirt, die im Domherrenhaus den Haushalt und unsere Mensa führt. - Und ich danke Ihnen allen, die Sie sich als der Domgemeinde zugehörig verstehen, für ihre Treue.
Allen, die die Erneuerung von Dom und Orgel durch ihre Arbeit oder ihre Spenden möglich gemacht haben, wird anlässlich des Abschlusses der Domrenovierung noch besonders zu danken sein.
- Heute vor 56 Jahren – ungefähr zu dieser Uhrzeit - bin ich hier im Grazer Dom zum Priester geweiht worden. Das war nur eineinhalb Jahre nach dem Abschluss des Zweiten Vatikanischen Konzils.
Wahrscheinlich habe ich manche mit meinen Hinweisen auf dieses Konzil und den Zitaten aus den Dokumenten gelangweilt und ermüdet, aber ich bin überzeugt, dass das Zweite Vatikanische Konzil noch lange nicht in seinen Impulsen für Kirche und Welt ausgeschöpft ist. Jedenfalls glaube ich, dass ich selbst vom Verlauf und den Ergebnissen des II. Vatikanums sehr geprägt worden bin – liturgisch und besonders im Hinblick auf den Auftrag, den wir als Kirche in der Welt von heute haben.
Ich weiß, dass vielen die Reformen des Konzils zu langsam vorangekommen sind, anderen zu schnell. Mir ist jedenfalls das Wort aus dem 1. Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde von Thessalonich nach wie vor im Ohr und im Herzen - Karl Rahner hat es wenig vor Beginn des Konzils beim Österreichischen Katholikentag zu Pfingsten 1962 in Salzburg ausgelegt:
„Löschet den Geist nicht aus!“ [5]
Das ist ein Auftrag, ein Wunsch und darin ein inständiges Gebet:
„Vater, Herr des Himmels und der Erde, sende aus Deinen Geist, und alles wird neu!“
Amen.
[1] vgl. R. Bultmann, Die Geschichte der synoptischen Tradition, Göttingen 1961, S.175f;
[2] F. Kamphaus, Vom Tod zum Leben, Mainz 1982, S.101f;
[3] K. Lehmann, Mit langem Atem. Wege, Erfahrungen, Einsichten, Freiburg² 2016, S.134;
[4] Pp Franziskus, Evangelii Gaudium Nr. 28;
[5] K. Rahner, Löschet den Geist nicht aus, in: Schriften zur Theologie, Band VII. Zur Theologie des Geistlichen Lebens, Einsiedeln 1966, S.77-90.