Begräbnis Gottfried K. Lafer

Predigt beim Requiem für Prälat Gottfried Lafer
Alois Kölbl
Am Tag vor dem Weihnachtsabend, dem Fest, an dem wir jedes Jahr aufs Neue – auch oder vielleicht gerade weil es in diesem Jahr unter besonderen, herausfordernden Bedingungen stattfindet – als Erwachsene von Kindern das Staunen lernen können, verabschieden wir uns hier im Grazer Dom – seiner Kirche – von Prälat Gottfried Lafer. Ein langes, ein erfülltes Leben, das ihm von Gott geschenkt wurde, hat er friedvoll zurückgelegt in die Hände seines Schöpfers. Es ist für mich kein Zufall, dass Gottfried Lafer den guten Zugang zu Kindern, den er immer schon hatte, im Alter noch intensivieren konnte. Wer mit ihm als er schon in fortgeschrittenem Alter war, eine Erstkommunionfeier oder ein Gespräch mit seinen Ministranten – besonders den Kleinen – erleben durfte, weiß, wovon ich spreche. Denn auch von ihm konnte man es lernen oder noch besser mit ihm gemeinsam Tun: wirklich Staunen. Wenn für Platon und Aristoteles im Staunen der Anfang des Philosophierens liegt, dann denke ich an Gespräche mit Gottfried Lafer, die aus dem gemeinsamen Staunen und der Ergriffenheit heraus entstanden sind: auf der Anhöhe der Kirche San Miniato al Monte mit Blick hinunter auf den Stadthorizont von Florenz, im Kreuzgang hinter der Apsis von San Francesco in Assisi, der Abtei von Sant‘ Antimo in den südtoskanischen Hügeln, beim Zurückschauen aus dem Autobus auf das Benediktinerkloster Subiaco in der steilen Felswand, beim Blick zurück auf Michelangelos Kuppel im Gehen zwischen den Kolonnaden am Petersplatz nach der schlichten Morgenmesse mit Papst Johannes Paul in seiner Privatkapelle.
Die Gedanken kreisten dabei immer sehr rasch um etwas, das dem Priester und Priesterausbildner, dem Seelsorger und Begleiter vieler Menschen, Gottfried Lafer, von zentraler Bedeutung war: der mystischen Dimension der Kirche; weder nur ein schönes Gebäude noch etwas, das nur als menschliche und nützliche Gemeinschaft in der Welt zu funktionieren hat. Von einer tiefen Liebe zu seiner Kirche, zu deren Entwicklungen er immer wieder auch kritische Fragen hatte, deren menschliche Unzulänglichkeiten er auch kritisierte, war sein priesterliches Sein und sein ganzes Leben durchdrungen. Das hatte nichts Pathetisches, war immer sehr geerdet und bodenständig. Und doch war es letztlich gespeist aus demselben existentiellen Ungenügen, aus dem heraus Gertrud von Le Fort ihre Hymnen an die Kirche formuliert hatte. „Deiner Seele bin ich Aufbruch und Heimweg und bin der Bogen ihres Friedens mit Gott über den Wolken“, lässt die Dichterin Le Fort ihr lyrisches Ich sagen. Bei Gottfried Lafer sind es nicht Hymnen oder Gedichte, sondern bei dem in besonderer Weise zum Zuhören Begabten, der den Brüchigkeiten und dem Scheitern von Menschen nicht auswich, sondern sie verlässlich und diskret begleitete, empfand man die Bewegung hin zu jener Tiefendimension als Grundmelodie seines Lebens. Eine Bewegung, die dem geerdeten Kirchenverständnis seiner bäuerlichen Herkunft entsprach, immer ganz bei den Menschen und menschlichem Alltag anknüpfend und doch beseelt davon, dass Kirche und kirchliche Gemeinschaft weit über das hinausführt, was menschlich möglich und machbar ist. Nur aus einer existentiellen Tiefendimension und nicht bei ihren Strukturen und Funktionen ansetzend kann und muss Kirche reformiert werden, war seine immer wieder geäußerte Überzeugung. Nehmen wir es als Testament und bleibend gültige Aufgabe vor allem in einer Zeit aktueller gedelldschaftlicher und kirchlicher Umbrüche.
Das Mysterium der Kirche ereignete sich für Gottfried Lafer sichtbar in der Feier der Liturgie. Nicht einer, die bloß überkommene Riten inszeniert, sondern das konkrete Leben hereinholt und feiernd vor Gott bringt. Philipp Harnoncourt, der dem Verstorbenen in diesem Jahr in die Ewigkeit vorausgegangen ist, schreibt über ihn: „Wie du als Vikar an den Dom gekommen bist, ist mir sofort deine tiefe Leidenschaft für eine schöne und würdige Domliturgie aufgefallen, aber nicht nur äußerlich und gut vorbereitet und gefällig, sondern auch als authentisches Glaubenszeugnis.“ Das von einer spürbaren Liebe zur Liturgie getragene, authentische Feiern des Vikars und baldigen Dompfarrers für Jahrzehnte hatte Strahlkraft für viele Menschen unterschiedlicher Generationen und gesellschaftlicher Herkunft. Diese Liebe zur Liturgie ist auch eingeflossen in die akribische Vorbereitung großer Liturgien hier an der Kathedralkirche und die wahrhaft historisch zu nennende Inszenierung der Papstgottesdienste in Wien, Mariazell und Gurk, deren Würdigung den Rahmen einer Predigt sprengt.
Über all das hinaus, was Gottfried Lafer als Initiator und Motor von Renovierungsarbeiten im Dom, Katharinenkirche und Mausoleum, Leechkirche, Dompfarrhof und Priesterseminar mit großem Fleiß und Engagement vorangetrieben hat, war er vor allem ein Zeuge des Evangeliums, von dem er selbst ergriffen war und das sein Tun bestimmte. Er lebte unaufdringlich aber deutlich sichtbar aus den Sakramenten und konnte so viele – gerade auch Fernstehenden und Zweifelnden – Spuren legen zum Mysterium, von dem er durchdrungen war. Es ist mir selten in solcher Intensität erfahrbar gewesen, was du, lieber Gottfried mir und vielen anderen als Regens des Priesterseminars beigebracht - nein: vorgelebt - hast und es Josef Ratzinger in bleibend gültige Worte gefasst hat wie bei der Krankensalbung, die ich dir am Vorabend des ersten Adventsonntags spenden durfte, als du bereits erstmals an der Schwelle zum Tod gestanden bist: „Ich gebe, was ich nicht selbst geben kann. Ich tue, was nicht aus mir kommt. Ich stehe in einer Sendung“, war das Empfinden einer Handlung in kaum noch reduzierbarerer Form in Schutzanzug, Visier und Gesichtsmaske.
Wie gern wäre ich noch mit dir hier im neu renovierten Dom gestanden, wissend, dass ich mir einige Fragen von dir hätte gefallen lassen müssen. Gerade hier, an der Stelle, wo der neue Ambo aus dunklem Basalt mit silbrig-hellen, flockigen Einschlüssen, die ihn entschweren, nun am steil und schmal nach oben ragenden Triumphbbogen den lichten Chor mit dem Kirchenschiff mit einer energischen Geste dynamisch verbindet, hätte ich gern mit dir nach vorne und nach oben geschaut. „Meinst du…?“ – hättest du wahrscheinlich in diesem wie in vielen anderen Gesprächen mit mir und auch anderen mit dem dir eigenen Tonfall gesagt. Mit einer Stimme, die Gewicht hatte, nicht nur weil sie tief und sonor und von natürlicher Autorität erfüllt, sondern vor allem von Authentizität und Lebenserfahrung durchdrungen war. In diesen und ähnlichen oft von dir gestellten Fragen zeigt sich ein gewisser eschatologischer Vorbehalt, der augenzwinkernd aber immer wohlwollend allzu Hochtrabendes rasch auf den Boden der Realität holen und gleichzeitig mit einer fragenden, tastenden Bewegung subtil für Größeres öffnen konnte: Das Ganze, der Sinn erschließt sich erst vom Ende her.
„Wie sollen wir den Weg kennen?“ – Die Frage des zweifelnden Thomas führt in die offene Weite echten Glaubensgeschehens. Ihm hat sich das Wunder der Auferstehung in der Berührung einer Wunde erschlossen. Ihm werden nicht Argumente oder ein Denksystem als Antwort geboten, sondern ein lebendiges Gegenüber: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“ Lieber Gottfried, mögest du staunen über IHN, eingebettet und umfangen von der Wirkmacht seiner Liebe. Uns bleibt es zu danken: mit dir für ein langes reich gefülltes und erfülltes Leben, für dich und das, was als von dir gepflanzter Same weiter wirksam bleibt.
„Ich baue nicht auf das Sichtbare“, schreibt der Apostel Paulus, „sondern auf das, was jetzt noch niemand sehen kann. Denn was wir jetzt sehen, besteht nur eine gewisse Zeit. Das Unsichtbare aber bleibt ewig bestehen.“ Amen.