In der Erkenntnis unseres Selbst voranschreiten
Das Evangelium am ersten Fastensonntag berichtet uns alljährlich davon, dass Jesus nach seiner Taufe durch Johannes den Täufer vom Geist 40 Tage in die Wüste geführt worden ist. Unsere Fastenzeit, lateinisch „Quadragesima“ - die „heiligen vierzig Tage“, wie es heute im Tagesgebet heißt - sollen wir also in Beziehung zu Jesus bringen. Vor zwei Wochen erst haben wir gehört, dass Jesus sich immer wieder zum Gebet zurückgezogen und aus dieser Begegnung mit seinem Gott und Vater gelebt hat. Wir dürfen wohl auch verstehen, dass diese „Wüstenzeit“ für Jesus zunächst vor allem Nähe zu Gott bedeutet hat.
- Am ersten Fastensonntag wird uns aber auch verkündigt, dass Jesus in dieser Zeit versucht worden ist. Das Markusevangelium, aus dem uns heuer vornehmlich die Frohe Botschaft verkündigt wird, berichtet davon allerdings nur sehr kurz.
Markus unterscheidet sich auch dadurch von den anderen Evangelien, dass er weder Kindheitsgeschichten, die uns aus der Weihnachtszeit vertraut sind, tradiert, noch einen Prolog, wie ihn Johannes seinem Evangelium voranstellt, enthält. Markus, vermutlich das älteste Evangelium, zeigt uns Jesus als den neuen Adam, den uns von Gott gesandten neuen Menschen, in dem die ganze Menschheitsgeschichte gegenwärtig ist: er wird in die Wüste geführt, dem Symbol für die Zeit der Wanderung Israels und für unsere Durststrecken; – wie im Paradies – lebt er mit den wilden Tieren, und Engel dienen ihm; und er wird wie Adam versucht.
Im Hebräerbrief wird dieses Evangelium gedeutet: „Wir haben ja nicht einen Hohepriester, der nicht mitfühlen könnte mit unseren Schwächen, sondern einen, der in allem wie wir versucht worden ist, aber nicht gesündigt hat“ (Hebr 4,15). – Jean Paul Sartre hat in seinem Weihnachtsstück, das er 1940 in einem Gefangenenlager bei Trier geschrieben hat, diese Passage aufgegriffen: „Ein Gott, ein Gott-Mensch, … ein Gott, der erfahren wollte, wie der Salzgeschmack auf unserer Zunge schmeckt, wenn uns alles verlassen hat. Ein Gott, der all unser Leiden auf sich nähme! Nein!“[1] - Als Christen bekennen wir gerade das: Ja: so ist Gott, so ist Christus.
- Nach der Gefangennahme Johannes des Täufers ist Jesus in Galiläa öffentlich aufgetreten und hat sein Evangelium verkündet: „Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um glaubt an das Evangelium!“
Diese Worte sind die Zusammenfassung alles dessen, was dann bis hin zum Ostertag von Markus überliefert wird. Jesus ist kein Moralprediger, kein Gesetzeslehrer, kein Religionsphilosoph: seine Botschaft ruft ein Geschehen aus, das unsere menschliche Grundsituation verändert: Gott ist da. Die Erwartung, die z.B. Joel ausgesprochen hat – ich erinnere an die Lesung vom Aschermittwoch: „Gott ist gnädig und barmherzig, langmütig, reich an Huld… Vielleicht kehrt er um und er lässt Segen zurück!“ –, ist in Christus erfüllt: er bringt Versöhnung, eröffnet den Zugang zu Gott. Er selbst ist der „Gott mit uns“. Die Kirchenväter haben darum Jesus die Autobasileia, das Reich Gottes in Person, genannt[2].
- Wie werden wir diese Fastenzeit verbringen? Das Tagesgebet dieses ersten Sonntags in der österlichen Bußzeit weist uns den Weg.
Auch wenn die 40 Tage vor Ostern „Fastenzeit“ heißen und der Aschermittwoch wie auch der Karfreitag von uns als strenge Fasttage gehalten werden sollen: die Vorbereitung auf Ostern ist kein kirchlich geregelter Speiseplan. Diese Zeit soll eine Zeit der Umkehr und der Buße sein, und das bedeutet vor allem, dass wir in der Erkenntnis Christi – „erkennen“ und „lieben“ sind in der Sprache der Bibel fast gleichbedeutend - und dadurch auch in der Erkenntnis unseres Selbst voranschreiten und in einem Leben aus dem Glauben bezeugen sollen, dass uns Christus erlöst, befreit hat.
In der Bergpredigt, aus der wir am Aschermittwoch das Evangelium gehört haben, sind uns drei Aufgaben genannt worden, auf die wir in dieser Zeit achten sollen und an denen unser Glaube sichtbar werden könnte: Fasten – im Sinn von Einübung eines Verzichts und Ordnung-in-unser-Leben- Bringen; Almosen geben – also Hilfe für Menschen in Not und Teilen mit ihnen; und – das Gebet – also die Begegnung mit Gott selber und dem, auf den wir getauft worden sind.
So wie Christus dieses Gegenüber gesucht hat, sollen auch wir im Hören und im Bedenken des Evangeliums und in der Stille diese Zeit zu einer „Wüstenzeit“ im positiven Sinne werden lassen. Der Heilige Geist möge uns begleiten und in uns beten. – Amen.