Himmelfahrt - überirdische Hoffnung
Die Ankündigungen, ja Hoffnungen, die in den letzten Wochen und Monaten im Zusammenhang mit der Lieferung und Verteilung von Impfstoffen ausgesprochen worden sind, haben fast eine „metaphysische Aura“ angenommen. Von „Erlösung“ und, dass nach Durchimpfung alles wieder gut wird, war sogar die Rede. In dieser Zeit vom Himmel als dem Ziel des Menschen zu predigen, entspricht vermutlich kaum den Hoffnungen, die die Menschen derzeit haben. „Ich beschwöre euch, Brüder!“ – hat Friedrich Nietzsche in seiner ersten Rede über den Übermenschen geschrieben, „Ich beschwöre euch, bleibet der Erde treu und glaubt denen nicht, welche euch von überirdischen Hoffnungen reden!“[1]
- So wichtig die medizinischen Maßnahmen sind – und wir hoffen natürlich auch, dass die Pandemie bald überwunden wird: es bleibt aber die Sendung der Kirche mit der Osterbotschaft über die einzelnen Hoffnungen hinaus zu verkündigen, zu welcher Hoffnung wir durch Gott berufen sind.
Die alljährliche Feier von Christi Himmelfahrt konfrontiert uns freilich mit den Grenzen unserer sprachlichen Fähigkeiten. „Was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat“, sollen wir verkünden (1 Kor 2,9). Können wir nach der „Entmythologisierung“ unseres Weltbildes noch vom Himmel und von Himmelfahrt, von Oben und Unten sprechen?
Wir haben aber eine Ahnung von dem, was das Tagesgebet des heutigen Tages in der Sprache des Glaubens meint: „Allmächtiger, ewiger Gott, erfülle uns mit Freude und Dankbarkeit, denn in der Himmelfahrt deines Sohnes hast du den Menschen erhöht!“
- Wir dürfen es uns nicht abgewöhnen oder verbieten lassen, Fragen zu stellen, was über dieses Leben hinaus sein wird. „Wenn wir allein für dieses Leben unsere Hoffnung auf Christus gesetzt haben, sind wir erbärmlicher dran als alle anderen Menschen“, schreibt Paulus der Gemeinde von Korinth (1 Kor 15,19).
Deshalb haben wir uns in den vergangenen 40 Tagen seit Ostern immer wieder um ein tieferes Verstehen des Evangeliums bemüht. Durch seine Auferstehung ist Jesus nicht zurückgekehrt in das irdische Leben, sondern eingegangen in das endgültige Bei-Gott-Sein, in das ewige Leben in der Einheit mit dem Vater. Er, der Gott und Mensch ist, hat aber unser Menschsein mitgenommen. Durch ihn ist Neues geschehen: der Himmel ist das Platz-haben des Menschen in Gott. Dieser Himmel ist unser Ziel.
Seit seiner Auferstehung ist Jesus in der Weise Gottes einem jeden von uns und der Gemeinschaft der Glaubenden nahe: er spricht zu uns durch seinen Heiligen Geist, wenn das Wort Gottes verkündet wird; er selbst ist es, der die Sakramente spendet: Christus ist es, der tauft, firmt, uns zur Speise wird, Sünden vergibt, seine Hand auf uns gelegt hat, seine Kirche leitet.
Christus bleibt uns in seiner Erhöhung treu: in einer Anwesenheit, die auch Abwesenheit einschließt. Es ist ein Dasein – das keinen Zugriff zulässt. Aber wir wissen: wahre Nähe ist nicht ohne Distanz möglich.
- In meiner Studentenzeit – in den 60er Jahren – hat der Theologe Karl Rahner Geistliche Texte unter dem Titel „Glaube, der die Erde liebt“ veröffentlicht und damit indirekt gegen die Beschwörung Friedrich Nietzsches Stellung bezogen.[2]
Der Glaube an die Auferstehung und die Hoffnung auf den Himmel bedeutet nicht eine Abwertung der Welt. Erfahrungen von Auferstehung machen wir ja auch schon vor dem eigenen Tod, in diesem Leben: wo immer Kranken Heilung geschenkt, wo Vergebung gewährt wird, wo Menschen Mut, Freude und neue Hoffnung schöpfen, wo Barmherzigkeit geübt und Liebe erfahren wird - ist Gottes lebensschaffender Geist am Werk.
Ein Glaube, der die Erde liebt und wie Gott den Menschen liebt, muss aber auch von überirdischer Hoffnung Zeugnis geben. Denn der Tod ist nicht das letzte Wort über den Menschen. Gott „ist nicht der Gott von Toten, sondern von Lebenden“ (Mt 22,32)
Zum Abschluss des heutigen Festgottesdienstes werden wir beten: „Allmächtiger, ewiger Gott, du hast uns, die wir noch auf Erden leben, deine göttlichen Geheimnisse anvertraut. Lenke unser Sinnen und Verlangen zum Himmel, wo Christus als Erster der Menschen bei dir ist.“ Möge der heutige Festtag uns besser erkennen lassen, zu welcher Hoffnung wir über alle anderen Hoffnungen hinaus durch Gott berufen sind.