Unser Auftrag: zur Umkehr aufrufen, Dämonen austreiben, heilen
Vor einigen Wochen haben sich die in Grazer Pfarren tätigen Priester mit dem Bischof getroffen, um die Situation in den neuen Seelsorgeräumen der Stadt zu besprechen. Vor allem sollte über Fragen nachgedacht werden, die sich anlässlich der Spendung der Sakramente stellen: z.B. bei der Taufe, bei der Erstkommunion oder in der Firmvorbereitung, wenn die Kinder und Jugendlichen kaum einen Kontakt zu einer Pfarrgemeinde haben. Die Krankenhausseelsorger haben von ihrem Dienst in den Spitälern berichtet, wo es zu neuen positiven Begegnungen kommt. Und manchmal sind die Vorstellungen, wie eine Trauung in der Kirche ablaufen soll, nicht leicht mit den kirchlichen Vorgaben in Einklang zu bringen. Dass sich auch das Bild vom Priester in unserer Gesellschaft verändert, ist uns allen klar.
Bald ist aber auch die Frage aufgekommen: Was tut der Bischof, was geschieht in der Diözese, um junge Menschen zu motivieren, einen geistlichen Beruf anzustreben? Zwei ehemalige Spirituale des Grazer Priesterseminars, Prof. Bernd Körner und P. Toni Witwer, beide unserer Domgemeinde gut bekannt, haben klar gemacht, dass dafür organisatorische Maßnahmen nicht ausreichen, sondern ein tiefgehendes Umdenken bei uns Priestern und in unseren Gemeinden vonnöten ist.
- Die Schriftlesungen dieses Sonntags geben dafür die Richtung an: Was ist unter Berufung und Sendung zu verstehen?
Wenn wir in der Kirche diese Worte hören, sind wir es gewohnt, an die Berufung zum Priesteramt oder in eine Ordensgemeinschaft zu denken. Das ist zwar berechtigt, aber doch etwas vorschnell. Die Auswahl der Zwölf durch Jesus war zunächst ein prophetisches Zeichen, das die Zeitgenossen Jesu durchaus verstanden haben: bei Jesus beginnt die Sammlung des Volkes Gottes. Israel hatte aus zwölf Stämmen bestanden, die zerstreut wurden. Die Zwölf sind Symbol für die ganze Kirche, d.h.: in der Berufung der Zwölf ist die ganze Kirche gemeint!
Es ist eine christliche Grundüberzeugung: Gott kennt uns, wir alle sind von ihm angesprochen, von ihm berufen und haben von ihm unsere Begabungen geschenkt erhalten, mit denen wir einander dienen sollen. Jeder und jede von uns ist gefragt: was will Gott von mir? Meistens erschließt sich das nicht in solchen Erlebnissen, wie sie von den Propheten geschildert werden, sondern darin, dass jemand Freude findet, mit seinen Fähigkeiten, mit seinem Leben Gott und den Menschen zu dienen – in der Familie, im Lebensumfeld, im Beruf. Aber es gibt eben auch Berufungen für die Kirche.
- Jesus hat denen, die er aussendet (seiner Kirche, uns), den Auftrag gegeben, zur Umkehr aufzurufen, Dämonen auszutreiben und zu heilen. – Das klingt alles sehr fremd!
Oft wird heute in verschiedenen Bereichen zu einem Umdenken aufgerufen: in Politik und Wirtschaft, besonders im Hinblick auf die Umwelt. Das griechische Wort für Bekehrung – Metanoia – meint sowohl ein Umdenken als auch ein tatsächliches Umkehren und vor allem eine Neuausrichtung auf das Leben mit Gott.
Das schließt ein die Abkehr von Wirklichkeiten, die uns unfrei machen. Der Tübinger Bibelwissenschaftler Fridolin Stier hat den Begriff „Dämonen“ mit dem Wort „Abergeister“[1] übersetzt: gemeint sind damit „die Angst vor Veränderung, Hängen an der Vergangenheit, Sturheit oder Unbeweglichkeit. Sie zeigen sich im Machtgehabe auf allen Ebenen, in Unversöhntheit, im Hängen an Äußerlichkeiten und im Egoismus. Sie werden sichtbar in der Gier, in Streitigkeiten und Kämpfen untereinander und in offenen oder versteckten Unterstellungen.“[2]
Der Glaube hat in sich heilende Kräfte: tatsächlich ist die Ursache mancher Krankheiten ein Sinn-Defizit, worauf Viktor Frankl hingewiesen hat. Aus christlicher Gesinnung heraus sind seit Jahrhunderten Spitäler errichtet worden.
„Umkehr, Dämonen austreiben, heilen“: Diese Aufträge Jesu nehmen uns alle - Priester, Laien, Ordensleute - in verschiedener Weise in Dienst, wir müssen aber zunächst bei uns selber beginnen: mit Gott leben; uns frei machen von allem, was uns kaputt macht; die persönliche Beziehung zu Jesus, dem „Arzt unserer Seelen“[3], suchen.
- Jesus nennt auch die Ausstattung, die wir für ein solches Leben in seinem Dienst benötigen – kurz gefasst: „mit leichtem Gepäck“!
Ehrlich gesagt: das fällt mir sehr schwer, wenn ich vergleiche mein erstes Jahr als Kaplan und jetzt 54 Jahre danach. „Mit leichtem Gepäck“?! Manche Ordensleute leben diese Wegweisung wörtlich und wechseln unbelastet von viel Hausrat von einem Einsatzort zum anderen. Im übertragenen Sinn bedeutet diese Weisung, dass wir nicht durch Imponiergehabe oder psychologische Werbetricks das Evangelium den Menschen nahebringen können. Christus selber weckt durch seinen Geist den Glauben. Unser Leben als Christen darf kein Hindernis für die Botschaft Jesu sein: Das ist eine dauernde Gewissensfrage an jeden einzelnen aber auch an die ganze Kirche mit ihren finanziellen Ressourcen, Büros und Organisationsstrukturen, ihrem Kirchenrecht.
Auch die Aussendung „jeweils zwei zusammen“ ist eine Weisung, die immer wieder neu – nicht sektiererisch - umgesetzt werden muss: die Verkünder des Glaubens sollen keine Gurus sein, die ihre eigene Jüngerschaft um sich scharen; die Gemeinschaft, die die Boten Christi, die Jünger Jesu, untereinander leben, gehört zur Botschaft: Kirche soll als Gemeinschaft ein „Buch zum Nachlesen“ sein. Auch Pfarrhöfe sollen nicht als verschlossene Burgen oder als „Ämter“ oder „Büros zur Verwaltung von Gläubigen“ wahrgenommen werden, sondern Orte der Begegnung sein, wo man aufeinander hört, christliche Gastfreundschaft gepflegt wird, und erlebt werden kann: „wo zwei oder drei in meinem Namen beisammen sind, da bin ich mitten unter ihnen“ (s. Mt 18,20).
Und:
Geistliche Berufe werden nicht durch organisatorische Maßnahmen geweckt, sondern durch die Erfahrung von Menschen, die geistlich leben und sich vom Geist Christi leiten lassen. Wir alle können dazu beitragen.
[1] F. Stier, Das Neue Testament, übersetzt von Fridolin Stier. Aus dem Nachlass herausgegeben von E. Beck, G. Miller und E. Sitarz, München 1989; vgl. Nachwort der Herausgeber, S. 577;
[2] s. Homepage von Pf. Martin Schnirch, Predigt zum 7.2.2021.
[3] Christus medicus, dieses Bild kommt zwar nicht in der Hl. Schrift vor, wohl aber schon im 2. Jh. bei Ignatius von Antiochien und später Augustinus.