Goldenes Priesterjubiläum von Prälat Burkard und Msgr. Bierbauer
Predigt von P. Toni Witwer SJ zum Thema „Berufung“ am 05.09.2021
Wir feiern das Goldene Priesterjubiläum von zwei Mitgliedern des Domkapitels, Prälat Helmut Burkard und Monsignore Josef Bierbauer. Wir feiern dieses Jubiläum mit ihnen am heutigen Ägydius-Sonntag, der Feier des Patrons dieser Kirche wie auch der Stadt Graz – und wir tun dies mit den soeben gehörten Lesungstexten des 23. Sonntag im Jahreskreis.
Was bedeutet diese Feier – für die beiden Jubilare und für uns Mitfeiernde? Was bedeutet es, ihr Jubiläum gerade in diesem festlichen Rahmen zu begehen und auf diese Weise das Besondere ihrer Berufung zum Priester hervorzuheben? Steht diese Feier nicht im Gegensatz zur Aufforderung der Lesung aus dem Jakobusbrief, dass wir unseren Glauben an Jesus Christus freihalten sollen „von jedem Ansehen der Person“ und dass wir keine Unterschiede untereinander machen sollen? – Nein, es besteht kein Gegensatz, doch die Lesung fordert uns dazu auf, dieses Priesterjubiläum in der rechten Weise zu feiern! Doch was bedeutet das?
In der Lesung heißt es dann weiter: „Hört, meine geliebten Brüder und Schwestern! Hat Gott nicht die Armen in der Welt zu Reichen im Glauben und Erben des Reiches erwählt, das er denen verheißen hat, die ihn lieben?“ D.h. vor Gott stehen wir im Grunde immer als „Arme“ da, der uns jedoch zu „Reichen im Glauben“ macht. Und Gott macht die, die Ihn lieben, zu „Erben seines Reiches“! Mit einem Wort: Wir feiern das Beschenkt-sein von Gott, das Werk Seiner Gnade!
Wir feiern hier eben nicht die menschlichen Leistungen der beiden Jubilare, sondern vielmehr „danken“ wir Gott für all das, was Er an ihnen gewirkt und durch sie vollbracht hat: wir danken Gott für ihre priesterliche Berufung – für ihr „Werkzeug-sein in der Hand Gottes“.
Wenn wir „danken“, tun wir dies vor allem für Dinge, die wir als „Geschenk“ empfangen haben – und die eben nicht unser Verdienst oder die Frucht unserer eigenen Leistungen sind. Aus diesem Grund danken wir heute in besonderer Weise für die Berufung der beiden Jubilare, für ihre Berufung zu Priestern. Gleichzeitig bekennen wir damit aber auch, dass es immer Gott ist, der uns beruft und der uns auch zur Treue in einer Berufung zu befähigen vermag – egal ob es sich dabei um unsere Taufberufung, um die Berufung zur Ehe oder eben um die Berufung zum Priester handelt.
Jede Berufung ist wichtig und ein Zeugnis für das Wirken Gottes – und deshalb sollen wir auch für jede gelebte Berufung Gott danken. Damit stellt sich jedoch weiter die Frage, warum wir Gott gerade für die Berufung zum Priester in besonderer Weise danken und Gott auch immer wieder um Berufungen zum Priestertum bitten sollen: „Bittet also den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte auszusenden!“ (Mt 9,38).
Sind nicht alle Getauften zu diesem „Dienst im Reich Gottes“ – und damit eben auch zu einem „Dienst in der Kirche“ – gerufen? Nicht nur von Gott her, sondern auch schon im Blick auf den Menschen stellt sich daher aber die Frage, wie denn der Unterschied zwischen einem „kirchlichen Beruf“ – im Sinne eines „kirchlichen Dienstes“ – und andererseits einer „Berufung“ zu sehen und zu verstehen ist.
Der „Beruf“ – gerade auch ein in der Kirche ausgeübter Beruf – kann und soll einem Menschen Freude bereiten, d.h. er soll ihn zufrieden machen und gewiss auch sein Leben materiell absichern. In diesem Sinne ist der „Beruf“ zwar ein sehr wichtiger Aspekt des Lebens, jedoch nicht alles, weil die „berufliche Tätigkeit“ von der Freizeit getrennt gesehen wird und auch auf eine bestimmte Stundenzahl in der Woche beschränkt bleibt.
Die „Berufung“ meint dagegen etwas, was das ganze Leben betrifft, das Leben kennzeichnet und prägt bzw. immer mehr prägen soll. In diesem Sinne sprechen wir ja auch von der „Taufberufung“: sie meint, dass die Taufe unser ganzes Leben prägen und bestimmen soll. D.h. wir sollen alles aus dem Geist der Verbundenheit mit Gott leben – egal, ob es sich dabei um unsere Arbeit oder um unsere Freizeit handelt, um die Sorge für die Familie oder um das gesellschaftliche Engagement usw.
Mit anderen Worten: Es gibt verschiedene „Dienste“ in der Kirche, doch nicht alle diese „Dienste“ sind deswegen schon als Berufungen anzusehen bzw. werden als Berufungen gelebt! Und in ähnlicher Weise ist so auch zwischen einer „kirchlichen Anstellung“ und einer „Berufung“ zu unterscheiden! Denn bei der „Anstellung“ geht es um ein „Vertragsverhältnis“ – mit Rechten und Pflichten auf beiden Seiten – bei der „Berufung“ kommt jedoch etwas anderes – genauer gesagt: ein Anderer – ins Spiel, nämlich der „Berufende“ – und das heißt: Gott selbst! Für einen „Beruf“ kann man sich bewerben, eine „Berufung“ dagegen kann aber nur „empfangen“ werden bzw. wir können um diese nur bitten – so wie wir eben um die Taufe bitten, damit Gott an uns handeln möge.
Wenn das Priestertum nicht als eine „Berufung“ begriffen wird, sondern – wie in der protestantischen Kirche – in Parallelisierung zu anderen „kirchlichen Diensten“ mehr nur wie ein „Beruf“ gesehen wird, hat dies unweigerlich zur Folge, dass damit der Mensch mit seinem Tun und seinen Fähigkeiten in den Mittelpunkt rückt, nicht aber Gott. In dem Maße wie jedoch nicht Gott, sondern die Menschen als Handelnde im Vordergrund stehen, werden wir verstärkt auf ihre Leistungen schauen und sie nach diesen bewerten, d.h. wir werden „untereinander Unterschiede machen“ und damit nicht „frei von jedem Ansehen der Person“ sein. – Wir erleben damit aber auch die Kirche zunehmend nur noch als eine menschliche Institution, nicht jedoch als einen Ort der Gegenwart und des Wirkens Gottes, der allein die Macht hat, uns „zu Erben seines Reiches“ zu machen.
Wird das Priestertum jedoch wirklich als „Berufung“ – und damit als „Gnade und Geschenk Gottes“ – begriffen, so steht nicht mehr der Mensch, sondern vielmehr Gott als Handelnder im Mittelpunkt. Der Mensch ist so vor allem dazu eingeladen, den Ruf Gottes zu hören und darauf zu antworten. – Der Mensch antwortet und „dankt“ Gott für diesen „Ruf“ gerade dadurch, dass er sich Gott so vorbehaltlos wie möglich als „Werkzeug“ zur Verfügung zu stellen versucht – und auf diese Weise gleichsam wie Maria auf den Anruf Gottes antwortet, die zum Engel gesagt hat: „Siehe, ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast“ (Lk 1,38).
Dieses „Sich-Gott-zur-Verfügung-stellen“ erschöpft sich jedoch nicht in einem einmal gesprochenen Wort – etwa im „Hier bin ich!“ bei der Weihe – sondern es fordert vielmehr dazu auf, jenen Weg zu gehen, den Jesus dem Simon Petrus angekündigt hatte, wenn er zu ihm sagte: „Als du jung warst, hast du dich selbst gegürtet und gingst, wohin du wolltest. Wenn du aber alt geworden bist, wirst du deine Hände ausstrecken und ein anderer wird dich gürten und dich führen, wohin du nicht willst“ (Joh 21,18).
Die Versuchung, die „Berufung“ in die eigene Hand zu nehmen, d.h. „sich selbst gürten und führen zu wollen, wohin man gerade gehen will“, ist gewiss immer wieder da. In dem Maße wie der Mensch jedoch seine „Berufung“ allein aus eigener Kraft zu leben versucht, wird ihn das Erleben der eigenen Grenzen auf diesem Weg leicht mutlos machen, ihn in seinem Tun lähmen und vielleicht sogar resignieren lassen. In solchen Situationen ist es wichtig, durch andere Menschen die Botschaft der ersten Lesung zugesagt zu bekommen, die den Blinden und Lahmen, den Tauben und Stummen zuruft: „Habt Mut, fürchtet euch nicht! Seht, hier ist euer Gott!“ (Jes 35,4), d.h. es ist wichtig, einander immer wieder in Erinnerung zu rufen, dass Gott gegenwärtig ist – und ihnen so auch bewusst zu machen, dass Gott da ist und kommt, um uns zu helfen und zu heilen.
Da jedoch – wie schon bei den Aposteln – immer die Gefahr besteht, die Berufung im Vertrauen auf die eigenen Fähigkeiten und Anstrengungen zu leben, sind gerade auch die Erfahrungen der Ohnmacht und der eigenen Schwachheit für die Vertiefung der Berufung des Priesters wichtig – so wie auch für die Apostel die Erfahrung des Versagens in der Passion Jesu entscheidend war. Nur durch diese leidvolle Erfahrung ihrer menschlichen Schwachheit und tiefen Erlösungsbedürftigkeit konnten die Apostel erkennen, dass die Treue in der Berufung vor allem eine Gnade und ein unverdientes Geschenk ist. Und auf diese Weise ist ihnen auch bewusst geworden, dass die Fruchtbarkeit ihres Lebens und ihrer Berufung von der Verbundenheit mit Jesus Christus abhängt und dass sie „getrennt von ihm nichts vollbringen können“ (Joh 15,5).
Die Berufung kann nicht wirklich wachsen und in tieferer Weise lebendig werden, solange sie allein bei einem gewiss ehrlich gemeinten Bemühen um die äußere „Nachahmung Jesu“ stehen bleibt, jedoch nicht zu einer wahren „Nachfolge Jesu“ – und damit zu einem Leben und Handeln aus dem Vertrauen in ihn – wird. – Das Wort Jesu zu Petrus, dass ihn „ein anderer gürten und führen wird“, macht deutlich, dass die Berufung nur in dem Maße lebendig werden kann, wie jemand sein eigenes Leben zu geben beginnt und dieses so zunehmend an Jesus „verliert“. „Wenn einer hinter mir hergehen will, verleugne er sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, wird es finden“ (Mt 16,24-25).
Aus eigener Kraft sind wir zu solcher Selbstverleugnung und Hingabe unseres Lebens nicht fähig; es ist vielmehr eine Gnade, wenn jemand immer mehr mit Paulus sagen kann: „Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir“ (Gal 2,20). – Die Priesterweihe ist im Grunde die demütige Bitte um diese Gnade, immer mehr in ein Werkzeug Jesu Christi verwandelt zu werden, wie es dort in der Liturgie bei den ausdeutenden Riten zur Übergabe von Kelch und Patene heißt: „Nimm hin die Gaben des Volkes für die Feier des Opfers. Bedenke, was du tust, ahme nach, was du vollziehst, und stelle dein Leben unter das Geheimnis des Kreuzes“.
Es ist ein Kennzeichen jeder echten Berufungserfahrung, dass sich der Mensch im Blick auf seine Grenzen und Schwächen außerstande fühlt, dieser Berufung zu entsprechen, sodass er wie Petrus eigentlich nur sagen kann: „Geh weg von mir; denn ich bin ein sündiger Mensch, Herr!“ (Lk 5,8). Gleichzeitig trifft ihn aber auch die Antwort Jesu, keine Angst zu haben, weil Er immer mit ihm ist und sein Tun segnen wird. D.h. Gott fordert ihn nur dazu auf, aus dem Vertrauen in Ihn zu leben und Ihn immer wieder neu um seine Hilfe zu bitten.
Die Berufung des Priesters fordert so zu einem lebenslangen Mühen auf, sich selbst zurückzunehmen und so weit wie möglich aus dem Vertrauen in Gott zu leben und dem kreuztragenden Herrn zu folgen. Gerade weil der Priester aus eigener Kraft dazu nicht in der Lage ist, wird der Taubstumme im heutigen Evangelium gleichsam zum Symbol seiner Situation: Berufen, durch sein Leben Zeugnis zu geben von Tod und Auferstehung Jesu Christi, kann er nur stets neu darum bitten, dass Gott ihm die Ohren und den Mund öffnen möge, damit er wahrhaft Sein Wort in sich aufzunehmen und dieses zu verkünden vermag. Denn nur wenn Gott unsere Sinne öffnet und zu uns sagt: „Éffata! Öffne dich!“, sind wir in der Lage, „richtig reden“ und Ihn verkünden zu können, so wie es die Berufung des Priesters ist. Ansonsten werden wir zwar äußerlich „reden“, damit jedoch nicht wirklich Ihn bezeugen!
Unser Gebet um Priesterberufungen ist die Bitte an Gott, dass Er – wie dem heiligen Ägydius und anderen Heiligen – auch heute vielen Menschen die Sinne für Sein Wort und Seinen Ruf immer mehr öffnen möge, damit auch sie dazu fähig sind, ihr Leben in den Dienst am Aufbau Seines Reiches zu stellen und so zu Verkündern und Zeugen der barmherzigen Liebe Gottes zu werden.
Auf diese Liebe blicken wir bittend und dankend in jeder Eucharistie: wir „danken“ für die Liebe, die uns durch das Leiden und Sterben Jesu Christi geschenkt wurde – und wir „bitten“ darum, dass uns die Feier dieses Geheimnisses durch neue Berufungen nie fehlen möge.
Das Jubiläum, das wir feiern, ist Dank und Bitte zugleich – sowohl für die Jubilare in ihrem Bestreben, ihre priesterliche Berufung in größtmöglicher Treue zu leben, wie auch für uns Mitfeiernde: Wir danken Gott für das, was Er durch die beiden Jubilare in den vergangenen fünfzig Jahren gewirkt hat, und bitten Ihn, dass Er uns auch weiterhin Seine Gnade und Seinen Segen durch Priester als Seinen Werkzeugen zuteilwerden lasse.