Gott wird Mensch, um uns zu begegnen
Liebe Schwestern und Brüder, liebe Domgemeinde an diesem hohen Christtag!
„Wünschen wir einander, dass wir bereit sind, ihn aufzunehmen und mit ihm unsere Wege zu gehen!“ Das habe ich heuer in meinem Weihnachtsgruß ausgesprochen und geschrieben. Ich habe mir angewöhnt, meine Wünsche zum Christfest schon am Beginn des Advents auszusenden, (nicht um auffällig der Erste zu sein, sondern) weil ich den Advent und Weihnachten in Einheit sehe. Advent heißt „Ankunft“. Weihnachten wird dann zum Fest, wenn wir offen sind für die Begegnung mit ihm, der als Emmanuel, als Gott mit uns, unser Leben teilen will; wenn wir bereit sind zu seiner Aufnahme, seinem Advent.
- Für viele unserer Mitbürger reduziert sich Weihnachten auf den Heiligen Abend mit seinem Brauchtum und seinen Zeichen – Christbaum, Geschenke, Bethlehem-Geschichte, Stille Nacht. Die Botschaft dieser Tage meint aber mehr - eine Begegnung, die unser ganzes Leben bestimmt.
In unserem Kulturkreis gilt die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus als Orientierung für eine Zeitenwende: wir unterscheiden die Zeit vor Christus und zählen unsere Jahre nach Christi Geburt.
Der Prolog des Johannesevangeliums, der uns vorhin verkündet worden ist, steht im vierten Evangelium an der Stelle, an der Lukas und Matthäus die uns vertrauten Kindheitsgeschichten Jesu überliefern. Dieser Hymnus, der mit den Worten beginnt „En arché – Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott“, stellt die Beziehung zwischen Gott und Welt, zwischen Schöpfung und Menschwerdung her. - Dieses Evangelium verkündet uns zunächst das Gottesgeheimnis, das schon im Alten Testament angedeutet war: „Gott ist keine einsame Monade,“ sondern „Der eine und einzige Gott ist vielmehr sich ereignende Gemeinschaft – in sich selbst und in seinem Verhältnis zu uns…, Gott ist sich mitteilendes Leben, Beziehung“[1], wie der Theologe Greshake schreibt.
- Dieses christliche Gottesverständnis hat unmittelbare Auswirkung auf unser menschliches Selbstverständnis. Schon in der Genesis steht der Satz: „Gott erschuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes erschuf er ihn“ (Gen 1,27).
Der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber, der die Schriften des „Ersten Testaments“ in Deutsche übersetzt hat, hat in seinem Buch „Ich und Du“ geschrieben „Alles wirkliche Leben ist Begegnung… Ich werde am Du“[2]. Begegnungen sind uns lebensnotwendig, wir brauchen einander.
Wir Christen können diese aus dem Alten Testament gewonnene Einsicht mit der Botschaft von der Menschwerdung Gottes in Christus verbinden. Der Prolog des Johannesevangeliums gipfelt in der Aussage: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.“
Gott selbst wird Mensch, „Gott selbst wird ein ‚Mitmensch‘, unter Mitmenschen: er nimmt unsere Geschichte als seine Geschichte an und teilt unser Geschick“[3]. Gott wird Mensch, um uns von Gott zu Mensch und von Mensch zu Mensch zu begegnen. In dieser Begegnung wird uns neues Leben zuteil. Die Begegnung mit Christus schenkt uns Leben. „Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt.“
- Das ist der Sinn der Feier des Christfestes: die Begegnung mit dem menschgewordenen Gott: „Christus will ich erkennen und die Macht seiner Auferstehung und die Gemeinschaft mit seinen Leiden!“ (Phil 3,10), schreibt Paulus.
Die Menschheit Jesu ist Offenbarung Gottes: „Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen“ (Joh 14,9). In ihm ist uns aber auch Gottes Bild vom Menschen vollkommen gezeigt: „Seid so gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht“ (vgl. Phil 2,5).
Wir sollen also an Weihnachten nicht nur auf das Jesuskind in der Krippe schauen, sondern die Begegnung mit dem „erwachsenen Jesus“ [4] suchen: Mit Jesus, der sich den Ausgegrenzten zugewendet hat, den Unberührbaren, den Kranken, den Sündern, den Frauen, den Kindern; Jesus, der sich der Hungernden angenommen hat, Jesus, in dem die Barmherzigkeit Gottes spürbar geworden ist; mit dem Jesus der Bergpredigt und dem, der gesagt hat: „Komm und folge mir nach!“.
Wir sollen uns aber auch dem „schwierigen“ Jesus[5] stellen, Jesus, den man nicht einordnen konnte; von dem seine Familie sagte: „Er ist von Sinnen“ (Mk 3,21f); dem Mann, der sich auf Streitgespräche eingelassen hat; Jesus, der gekreuzigt worden ist. Und in all dem Jesus, dem Auferstandenen, der uns vorausgeht und durch seinen Geist mit uns verbunden bleibt!
Gott ist Mensch geworden, einer von uns, ihn sollen wir aufnehmen!
„Aus seiner Fülle haben wir alle empfangen, Gnade über Gnade.“
Amen.