Fasten ist ein Gewinn von Freiheit
Der Aschermittwoch ist schon durch seinen Namen und seine Symbolik eine Predigt, die von vielen verstanden und ernstgenommen wird. Gestern und an den Tagen davor haben wir noch Fasching gefeiert - heuer aus aktuellem Anlass nicht sehr motiviert -, heute lassen wir uns das Aschenkreuz auflegen und das deutende Wort sagen: „Bedenke, Mensch, dass du Staub bist und zum Staub zurückkehren wirst!“
- Durch die seit Monaten andauernde, jetzt abebbende Pandemie mit den sich wiederholenden Meldungen und Kontroversen über die Impfung ist die Erinnerung an unsere Vergänglichkeit fast alltäglich geworden, in diesen Tagen kommt aber die Nähe eines Krieges dazu:
- Manche können die Statistiken und sonstigen dazugehörigen Angaben schon nicht mehr hören oder verdrängen diese Wahrheit.
- Nicht wenige – auch Junge - sind dadurch depressiv geworden.
- Wir erinnern uns an Menschen, die in den vergangenen Jahren mit dem oder am Virus gestorben sind.
- Der Aschermittwoch ist Beginn der österlichen Bußzeit. Die Aufforderung, unsere Begrenztheit zu bedenken, soll anregen, uns ehrlich auf unsere eigene Situation zu besinnen.
- Mit dem Kreuz, das auf unsere Stirn gezeichnet wird, wird jedem und jeder von uns das Wort Jesu gesagt: „Kehr um und glaub an das Evangelium!
- Mit der vor uns liegenden Fastenzeit verbindet man Einschränkungen verschiedener Art, die den Gläubigen von der Kirche aufgelegt worden sind. Fasten ist allerdings eine Praxis, die Christen mit Angehörigen vieler Religionen und Kulturen teilen, und sogar medizinisch angeraten sein kann.
Die Fastenzeit bedeutet aber keine religiös-kirchlich verordnete Speiseregelung, sondern hat – wie es auch in der deutschen Sprache im Wort „Fasten“ mitklingt – damit zu tun, dass wir uns in Gott festmachen sollen. Denken wir an das Gleichniswort in der Bergpredigt vom Haus unseres Lebens, das auf solidem Grund gebaut sein soll; oder an das biblische Bild vom Baum, dessen Wurzeln tief zum Grundwasser reichen. Wir sollen innehalten, um zu erkennen, ob wir in Stürmen und Prüfungen bestehen, ob wir vor Gott bestehen können; innehalten, um zu erkennen, was unsere geistlichen Wurzeln sind.
Am kommenden ersten Sonntag in der Fastenzeit werden wir daran erinnert, dass Jesus selbst gefastet hat, von ihm sollen wir lernen, was es heißt, zu fasten, wie es Gott gefällt: uns vom Geist führen zu lassen und die Begegnung mit Gott zu suchen.
- Heute, am Aschermittwoch, werden uns konkrete Schritte gewiesen. Diese Worte aus der Bergpredigt klingen aber fast wie eine Gegenbotschaft zu dem, was man oft mit Fasten assoziiert:
„Hütet euch, eure Gerechtigkeit zu tun, um von den Menschen gesehen zu werden. Wenn du Spenden gibst, posaune es nicht vor her! Wenn du betest, geh in deine Kammer, schließ die Tür zu! Wenn du fastest, macht kein finsteres Gesicht!“ Es geht also ganz und gar nicht um eine Zurschaustellung von Frömmigkeit, im Gegenteil!
Fasten hat mit dem Gewinn von Freiheit zu tun: es ist vergleichbar mit einem Entrümpeln, es ist ein Entrümpeln des Körpers und des Geistes. Wir sind getrieben von Ängsten, Süchten und Sorgen, besessen von Gedanken, Gewohnheiten und Gefühlen. Freiheit gewinnen wir, wenn wir in uns Platz schaffen, Ordnung machen, eine klare Ausrichtung anstreben. Weil wir aber keine Automaten sind, geht das auch nicht automatisch, es verlangt eine freie Entscheidung und Anstrengung!
Voraussetzung ist aber, dass wir uns eine neue Beziehung zu Gott schenken lassen. „So wenig man leben kann, ohne zu atmen – kann man auf Dauer kein Christ sein, ohne zu beten.“[1] Dass wir überhaupt beten können und dürfen, ist eine Gabe des Heiligen Geistes; der Geist Gottes betet in uns, er hält uns offen für die Begegnung mit Gott. Wir selbst müssen uns aber auch dafür offenhalten: vor Gott anwesend werden, aus der Zerstreuung gesammelt und wach für die Wahrheit: „Keinem von uns ist ER fern. Denn in ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir“ (Apg 17,27f).
Leben heißt: Mit-Sein mit Gott und den Menschen. Gott lässt sich finden – und viele, die meinen „religiös unmusikalisch“ zu sein, begegnen ihm, meist ohne es zu ahnen -, wenn sie Menschen in Not helfen. Darum der dritte konkrete Schritt in der Fastenzeit: Nächstenliebe der Tat.
Die Liturgie der Kirche nennt die Fastenzeit eine Gnadenzeit, diese 40 Tage sind ein Geschenk Gottes an uns, um in der Umkehr zu Gott Freiheit zu gewinnen. Ergreifen wir dieses Geschenk und geben wir auch einander die Chance, diese Zeit zu nutzen!
[1] Vgl. R. Guardini, Vorschule des Betens, 1.Auflage Berlin 1943; Mainz 2007, S. 5.