Hilf meinem Unglauben

Menschen, die sich ernsthaft bemühen, ihr Leben an den Geboten Gottes und den Weisungen der Kirche auszurichten; denen es ein Anliegen ist, dass der Glaube an Gott in der Familie gelebt wird; die ein waches Interesse daran haben, dass die Botschaft des Evangeliums nicht verharmlost, sondern in Kirche und Religionsunterricht klar und aufbauend verkündet und praktiziert wird; die vielleicht darunter leiden, dass das kirchliche Personal auf fast allen Ebenen weit hinter diesen Ansprüchen zurückbleibt, und das manchmal auch kritisch vermerken; und die all das nicht nur vom Pfarrer und kirchlichen Angestellten verlangen, sondern sich auch selbst bemühen, Zeugen Gottes zu sein und darum auch religiöse, vielleicht sogar theologische Weiterbildung auf sich nehmen; und nicht zuletzt, Menschen, die für Ihr Christsein auch beachtliche zeitliche und finanzielle Mittel einsetzen…: Gott sei Dank! Es gibt solche Menschen: sie sind Träger kirchlichen Lebens, sie tragen dazu bei, an die Zukunft von Kirchen und Christentum in unserer Gesellschaft zu glauben.
- Solche Menschen waren es auch, die vor 2000 Jahren in Sorge um die Zukunft der religiösen jüdischen Traditionen streng gegen sich selbst, aber auch gegenüber anderen auf die Beachtung der tradierten Gesetze gewacht haben, gemäß dem Psalmwort „Der Eifer für dein Haus wird mich verzehren“ (Ps. 69,10), die Pharisäer.
Paulus schreibt von sich: „nach dem Gesetz bin ich ein Pharisäer“ (Phil 3,5); in der Apostelgeschichte bekennt er, „Ich habe nach der strengsten Richtung unserer Religion gelebt, nämlich als Pharisäer“ (Apg 26,5), „ich war ein Eiferer für Gott“ (Apg 22,3); und wegen seiner Verkündigung der Auferstehung Christi vor dem Hohen Rat angeklagt rechtfertigt er sich: „Brüder, ich bin Pharisäer und ein Sohn von Pharisäern“ (Apg 23,6).
Die Predigt und das Auftreten Jesu hat gerade in diesen Kreisen große Hoffnungen geweckt: seine Predigt vom Reich Gottes, sein Eifer für die Heiligkeit des Tempels, seine Distanz gegenüber den Sadduzäern, die seinen Glauben an die Auferstehung lächerlich machen wollten. Pharisäer haben seine Nähe gesucht und ihn eingeladen und Jesus hat diese Einladungen angenommen.
- Und doch gerade dabei hat sich auch die im vorhin verkündeten Abschnitt aus dem Lukas-Evangelium angedeutete wachsende Entfremdung angebahnt. Die Pharisäer haben Jesus mit sich selbst und ihrer eigenen Gerechtigkeit verglichen:
Was sind das für Leute, mit denen Jesus unterwegs ist? Wie genau hält er die Gesetze der Sabbatruhe und die Reinheitsvorschriften ein? Kann der ein von Gott gesandter Prophet sein, der aus einem kaum bekannten Dorf in der Provinz Galiläa, Nazareth, kommt; sich mit einer solchen Schar von Leuten aus der sozialen Unterschicht umgibt, sich von einer allseits bekannten Sünderin berühren und sich von Verrätern, Kollaborateuren der ausländischen Besatzungsmacht einladen lässt? - Ja: nicht einfache Finanzbeamte, sondern Kollaborateure, Verräter, Erpresser, Ausbeuter, gesellschaftliche Außenseiter waren die Zöllner, bei denen er sich sogar selbst eingeladen hat: „Zachäus, komm schnell herunter! Denn ich muss heute in deinem Hause bleiben“ (Lk 19,1-10).
Und dann dieses Gleichnis: hier der Gesetzestreue, der zurecht auf seinen guten öffentlichen Ruf, seine Askese und seine Spendengroßzügigkeit verweisen kann – und dort der Ausgegrenzte, der unter seiner Geschichte leidet und Gott um Gnade bittet. - Ihr religiöser Eifer und die Überzeugung von ihrer eigenen Gerechtigkeit haben die Pharisäer zur Verachtung Jesu und seines Anhanges geführt. Schlussendlich haben sie sich mit ihren eigenen Gegnern geeinigt: dieser Jesus gehört weg!
- Lukas hat diese Fakten tradiert, um historisch klarzustellen: der Konflikt, der zum Kreuz geführt hat, hatte seine Wurzeln nicht in einem Aufstand Jesu gegen Rom, sondern im Verständnis von Gottes Reich und von der Sendung Jesu: „Ich bin nicht gekommen, um Gerechte, sondern Sünder zur Umkehr zu rufen“ (Lk 5,32).
Lukas war es aber auch wichtig, in den Konflikten, die es schon in der Frühzeit des Christentums gegeben hat, Haltungen, die jener der Pharisäer ähnlich waren, in der Kirche zurückzuweisen. Und diese Tendenzen sind immer wieder aufgetreten: gegenüber den in den Christenverfolgungen schwach Gewordenen, in den Spannungen zwischen West- und Ostrom, in Rivalitäten zwischen geistlichen Orden, den Konfessionskriegen, in den Flügelkämpfen zwischen „links und rechts“, in Eifersüchteleien in den Gemeinden… Wir alle sind versucht und davon bedroht, in unserem Engagement für Glaube und Kirche auf andere hinabzuschauen. Jeder und jede von uns ist auf die Barmherzigkeit Gottes angewiesen.
Wie könnten wir beten? Doch eher wie ein Mann im Evangelium: „Ich glaube, hilf meinem Unglauben!“ (Mk 9,24); - oder mit den Worten des holländischen Expriesters Huub Oosterhuis in einem Lied (Gl 421): „Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr; fremd wie dein Name sind mir deine Wege… Ich möchte glauben, komm mir doch entgegen!“.