Fastenzeit – eine Chance

„Alles hat seine Stunde. Für jedes Geschehen unter dem Himmel gibt es eine bestimmte Zeit … Eine Zeit zum Weinen und eine Zeit zum Lachen, eine Zeit für die Klage und eine Zeit für den Tanz“ (Koh 3,1.4), schreibt der alttestamentliche Prediger, Kohelet genannt. Der Fasching ist vorbei, mit dem heutigen Tag haben wir die österliche Bußzeit begonnen, eine Zeit, an deren Beginn uns ein Symbol von Vergänglichkeit, Asche, aufgelegt wird und wir aufgefordert werden: „Bedenke, Mensch, dass du Staub bist und zum Staub zurückkehren wirst!“
- Die Wochen vor Ostern, die mit dem heutigen Aschermittwoch beginnen, sollen von uns auch als Fastenzeit eingehalten werden als uns selbst auferlegte Übung der Enthaltsamkeit.
„Fasten“ – manchmal lächerlich gemacht und von Gegnern der Kirche ostentativ missachtet – ist derzeit wieder „in“ – aus verschiedenen Gründen: angeraten unserer Gesundheit wegen oder im Interesse der Schonung der Umwelt, zugeordnet dem Ressort „Entschlackung und Wellness“. Obwohl in fast allen Religionen empfohlen und praktiziert, sozusagen aus einer Urerfahrung der Menschheit angeraten, findet in unserer Gesellschaft ein „Fasten aus religiösen Gründen“ kaum mehr Verständnis.
Jesus hat jedenfalls gefastet, 40 Tage lang, und er gibt in der Bergpredigt ebenfalls Weisungen für ein Fasten „wie Gott es wünscht“ (vgl. Jes 58,5.8): nicht mit finsterem Gesicht und trübseligem Aussehen, zur Schau gestellt.
- Fasten hat mit einer „Entschlackung“ zu tun – in einem tieferen Sinn! Im Psalm wird uns zugeredet: „Verhärtet euer Herz nicht!“ (Ps 95,8). - Auch Jesus spricht von der Gefahr der „Sklerose der Herzen“, der Hartherzigkeit („sklerokardia“ Mt 19,8).
Herz im Sinn der Heiligen Schrift meint das tiefste Innere des Menschen, seine Personmitte, aus der Lebensentscheidungen getroffen werden, wo Liebe oder Hass entstehen. Und dieses Zentrum kann verhärtet, verschüttet, verlegt sein. „Zu den psychologischen Grundbedingungen geglückter menschlicher Existenz gehört Askese – verstanden als die beständige Mühe des Menschen, kein Reiz-Reaktionsautomat zu werden“, hat Albert Görres, ehemals Professor für Medizinische Psychologie, geschrieben.[1] Tiefe lebenstragende Haltungen, die Achtung des anderen, seiner Rechte und Würde, Treue müssen erworben und eingeübt werden.[2]
Ein Schritt dazu ist das Fasten: es meint nicht eine Selbstquälerei und schon gar nicht eine Selbstinszenierung, sondern ein Freiwerden, ein Aufräumen, ein Ordnung-Schaffen in unserem Inneren für die eigentlich wesentliche Aufgabe unseres Lebens. Auf Baustellen muss oft das Terrain von kontaminiertem Material gereinigt werden, in Kriegsgebieten sind Bodenminen zu beseitigen – gibt es nicht auch bei uns solche vergifteten Zonen in unserer persönlichen Geschichte, die erst wieder entdeckt und ausgeräumt müssen: Unversöhntheiten, Altlasten, die uns unfrei machen?
- Die vor uns liegende Fastenzeit ist eine uns eingeräumte Chance, wie es die Gebete der österlichen Bußzeit formulieren, ein Geschenk der Gnade. Die Worte aus der Bergpredigt, die wir heute gehört haben, zeigen uns gemeinsam mit dem Fasten Schritte für den Weg hin zu einem neuen Wohlergehen:
Zunächst spricht Jesus vom „Almosen-Geben“: damit ist gemeint das Tun des Guten und Gerechten; und dann das Teilen von Geld, Sachen, von Zeit. Wo können wir Gott finden? Viele, auch Menschen, die von sich sagen, sie seien „religiös unmusikalisch“, begegnen dem Geheimnis Gottes – meist ohne es zu ahnen -, wenn sie Menschen in Not helfen.
Dann das Gebet: Buße meint Hinwendung zu Gott. Die Fastenzeit will uns ermutigen, uns auf Gott hin zu öffnen. Ich erinnere an das Wort des Philosophen und Priesters Romano Guardini: „Man kann auf Dauer kein Christ sein, ohne zu beten – sowenig man leben kann, ohne zu atmen.“[3] Jesus lehrt uns beten – entdecken wir für uns selbst sein Gebet!
Die Texte der Liturgie nennen die Fastenzeit eine Gnadenzeit: ein Geschenk Gottes an uns, uns eingeräumte Zeit zur Umkehr und Einübung des Lebens als Getaufte. Heute wird uns mit der Erinnerung unserer Vergänglichkeit gesagt: „Bedenke, Mensch, wer du bist!“ Für den hl. Augustinus war ein solches Bedenken der Anfang seiner Umkehr. Er schreibt in seinen Confessiones: „Ich bin mir selbst zur Frage geworden!“[4] Stellen auch wir uns dieser Frage!