Jesus – der Brunnen lebendigen Wassers
„Die christliche Wahrheit ist von ihrem tiefsten Wesen her polyphon und symphonisch.“[1] Die vier Evangelien berichten aus verschiedenen Blickwinkeln und aus verschiedenen geschichtlichen Bedingungen vom Leben, Wort und Wirken Jesu. Die Hörer und Leser der Heiligen Schrift begegnen aus ihrer persönlichen Betroffenheit der ihnen verkündigten Botschaft. Daher ist zu verstehen, dass auch einzelne Ereignisse und Aussagen erst in ihrem Zusammenklang und in ihrer gegenseitigen Beleuchtung ihre Tiefe und Schönheit erkennen lassen, aber auch unterschiedliche Betonungen im Verlauf der Kirchengeschichte erfahren.
- Das wird in diesem Jahr besonders am Evangelium des 3. Fastensonntags deutlich: Die Begegnung Jesu mit der Samariterin am Jakobsbrunnen ist derzeit zurecht eine sehr oft zitierte Bibelstelle zum Thema „Jesus und die Frauen“.
Jesus redet öffentlich eine fremde Frau an, die noch dazu eine Samariterin (also für Juden eine Ungläubige) ist – das war nicht nur unüblich, sondern ein Skandal, ja ein Tabubruch!. „Die Juden verkehren nämlich nicht mit den Samaritern“ erklärt der Evangelist. Um das Auftreten Jesu und die Reaktion der Menschen zu verstehen, war es dem Evangelisten wichtig, auch das nicht zu verschweigen, es ist aber nicht die eigentliche Botschaft dieses Evangeliums.
Das Gespräch Jesu mit der Frau am Jakobsbrunnen hat in der frühen Kirche zur Unterweisung für die Katechumenen, zur Katechese für die Taufkandidaten gehört. Dieser Abschnitt aus dem Johannesevangelium ist für die Liturgie der Fastenzeit ausgesucht worden, weil wir uns in diesen Wochen vor Ostern auf das besinnen sollen, was uns in der Taufe geschenkt worden ist.
- Zum besseren Verstehen der Taufe werden wir im Evangelium auf das Symbol des Brunnens aufmerksam gemacht. Vielleicht hat uns die im vergangenen Jahr erfahrene und beklagte lange Trockenheit mehr ahnen lassen, welche Bedeutung früher dem Brunnen – sowohl dem Dorfbrunnen als auch der Bassena -, und besonders in Regionen am Rand der Wüste zugekommen ist.
Der Brunnen war und ist ein Platz der Begegnung, ein Lebensort. Daran sind wir schon durch die erste Lesung erinnert worden. Die Beduinen – und das waren die Angehörigen des alttestamentlichen Gottesvolkes zunächst – haben die Wasserstellen in den Oasen als „Augen der Wüste“ bezeichnet, ja sogar als „Brunnen des Lebendigen, der auf mich schaut“ (Gen 16,14).
In den Gebeten Israels, den Psalmen, wird Gott als der gute Hirte bezeichnet, der uns zum Ruheplatz am Wasser führt (Ps 23,1f). Die Sehnsucht nach Gott wird mit dem Durst, mit dem Verlangen nach Wasser, verglichen:
- „Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser, so lechzt meine Seele Gott nach dir. Meine Seele dürstet nach Gott, dem lebendigen Gott“ (Ps 42,2f);
- „Gott, mein Gott bist du, dich suche ich, es dürstet nach dir meine Seele. Nach dir schmachtet mein Fleisch wie dürres, lechzendes Land ohne Wasser“ (Ps 63,2).
- Und über Jerusalem mit dem Tempel singt der Psalmist: „Alle meine Quellen entspringen in dir“ (Ps 87,7).
Juden und Samaritern, also Menschen, die in den religiösen Traditionen des ersten Testamentes gelebt haben, waren diese Bilder, Gebete und Verheißungen vertraut. In den Gemeinden, für die Johannes sein Evangelium geschrieben hat, hat es zu Christus Bekehrte Juden und Samariter gegeben.
- Das Johannesevangelium hat sich ursprünglich aber auch an Gläubige aus dem hellenistischen Kulturkreis gerichtet.
In diesen Gemeinden ist die Frage nach der richtigen Anbetung Gottes, dem Stellenwert von Jerusalem und der Bedeutung der Religionen gestellt worden. Auch dafür ist das Symbol des Brunnens wegweisend: Die Ziehbrunnen in der Wüste haben das Wasser, das in ihnen zusammengeronnen ist, gesammelt. Kostbarer aber ist „lebendiges Wasser“, das als frische Quelle aus dem Felsen quillt. Die Samariterin kann Wasser aus dem Ziehbrunnen geben, sie repräsentiert in diesem Gespräch mit Jesus die Religionen der Menschheit, die auch Wahrheit überliefern und bergen, wie auch das Konzil im Dokument über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen gesagt hat.
Das heute verkündete Evangelium lässt uns aber Jesus als „Brunnen, der lebendiges Wasser spendet“, verstehen, als die eigentliche Quelle der Gottesbeziehung und des ewigen Lebens. Mit dem Hinweis auf die sechste Stunde werden wir an das Evangelium von der Kreuzigung Jesu erinnert: aus der geöffneten Seite Jesu „floss Blut und Wasser heraus“ – sein Tod ist für uns die Quelle des Lebens. Und Paulus sagt im Römerbrief: „Durch ihn haben wir… den Zugang zu der Gnade erhalten.“
Wir sind getauft und in der Taufe mit Christus verbunden worden, in ihn hineingetauft, hineingetaucht Wir haben es aber immer wieder nötig, an unsere Taufe erinnert zu werden, damit wir aus diesem Anfang, der Quelle des Lebens, unser Leben gestalten. Im Sakrament der Buße wird uns diese Beziehung zu Christus erneuert, sie ist die sakramentale Tauferneuerung.
Dieser Sonntag mit seinen drei Lesungen aus der Heiligen Schrift stellt uns die Gewissensfrage:
- Was sind die Quellen, von denen wir uns beleben lassen?
- Schöpfen wir aus frischem, lebendigem Wasser?
- Pflegen wir die Beziehung zu Jesus, der Quelle des Lebens?
[1] W.Kasper, in: Theologie und Kirche, Mainz 1987, S. 31, vgl. H.U. v. Balthasar, Die Wahrheit ist symphonisch. Aspekte des christlichen Pluralismus, Einsiedeln 1972;