Entschlafung Mariens
„Gesegnet bist du unter den Frauen und gesegnet ist die Frucht deines Leibes!“ – Dieses Wort von Elisabeth, der Mutter Johannes des Täufers, zu und über Maria aus dem heutigen Festtagsevangelium ist uns Katholiken vertraut vom Mariengruß: „Du bist gebenedeit unter den Frauen und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus.“ Das aus dem Lateinischen ins Deutsche übernommene Wort „benedeien“ ist abgeleitet vom Wort „bene-dicere, Gutes-sagen“, und wird auch übersetzt mit den Wörtern „gesegnet“ und „hochgelobt“. Im heutigen Evangelium folgt diesem Ruf die Seligpreisung der Mutter Jesu: „Selig, die geglaubt hat!“ –
Mit dem heutigen Feiertag der „Aufnahme Mariens in den Himmel“ - oder wie man kurz sagt: „Mariä Himmelfahrt“ - stimmen wir ein in diesen Zuruf an die Gottesmutter und folgen einer Tradition, die zurückreicht bis ins fünfte Jahrhundert nach dem Konzil von Ephesus.
- Die Glaubenslehre von der Aufnahme Mariens in den Himmel hat aber erst Papst Pius XII. am 1. November 1950 dogmatisiert, darin heißt es: „Es ist von Gott geoffenbarte Glaubenslehre, dass Maria nach Vollendung des irdischen Lebenslaufes mit Leib und Seele in die himmlische Herrlichkeit aufgenommen wurde“ (DH 3903).
Die Definition dieses Dogmas war unter Theologen nicht unumstritten, denn man hat gefragt: Durch welches Zeugnis aus der Heiligen Schrift sollte die göttliche Offenbarung dieser Glaubenswahrheit belegt werden? Und was bedeutet ein solches Dogma für die Ökumene?
Dagegen konnte auf die alte Praxis des Festes der „Entschlafung Mariens“ in den Kirchen des Ostens und sogar bei Martin Luther verwiesen werden, aber auch auf die Tradition des Grundsatzes „LEX ORANDI – LEX CREDENDI“, dass also aus dem Gebet der Kirche abgelesen werden kann, was unser Glaube besagt.
Zur Glaubenslehre gehören freilich nicht die Legenden, die in apokryphen Evangelien erzählt werden und von Künstlern gerne dargestellt worden sind – auch wenn sie ein schönes Brauchtum hervorgebracht haben: die „Blumen- und Kräuterweihe“ am heutigen Tag.
Zwar gibt es keine unmittelbare Belegstelle in der Heiligen Schrift für die Aufnahme Mariens in den Himmel, es ist aber zu bedenken, dass Maria im Neuen Testament in 20 Perikopen als Inbild eines gläubigen Menschen dargestellt wird: denken wir an die Verkündigung an Maria; an das heute verkündete Evangelium von der Seligpreisung, die Elisabeth beim Besuch der schwangeren Maria ausruft: „Gesegnet bist du unter den Frauen! Selig, die geglaubt hat!“; Maria war Zeugin des Kreuzestodes Jesu; und wir finden sie nach Ostern, also von Anfang an, betend in der Gemeinde - wie die Apostelgeschichte berichtet.
- Im Credo bekennen wir mit allen Kirchen, die in der Tradition der alten Konzilien stehen: d.h. mit den sogenannten „orthodoxen Ostkirchen“, aber auch mit den Kirchen, die aus der Reformation hervorgegangen sind, dass wir an die Auferstehung der Toten und das ewige Leben glauben.
Die Kernaussage des Dogmas von der Aufnahme Mariens in den Himmel ist die gläubige Überzeugung und Hoffnung, dass Gott allen Menschen heiles, unverlierbares Leben in Gemeinschaft mit ihm, dem dreieinigen Gott, in der Vollendung geben will, und dass Maria in ihrem Tod diese Vollendung bereits empfangen hat.
Zum Verständnis dessen ist zu bedenken, dass wir unsere menschlichen Vorstellungen von Zeit nicht in das zeitlose Jetzt der Ewigkeit übertragen dürfen. - Und wenn wir für uns die Vollendung als Menschen erhoffen, dann meint das nach biblischem Denken unser Menschsein „mit Leib und Seele“ – Der Apostel Paulus hat auf die Frage: „Wie werden die Toten auferweckt, welchen Leib werden sie haben?“ geantwortet: „Du Tor! Auch das, was du säst, wird nicht lebendig, wenn es nicht stirbt… Gesät wird ein irdischer Leib, auferweckt ein überirdischer Leib“ (1 Kor 15,35f.44a).
„Maria ist der Gemeinschaft der Glaubenden als ein Hoffnungszeichen vor Augen gestellt, das nicht exklusiv, sondern exemplarisch verstanden sein will: Wie Gott an Maria gehandelt hat, so handelt er an allen Menschen, die sich seiner Barmherzigkeit nicht verschließen.“ [1]
- An Christi Himmelfahrt haben wir gebetet: „Allmächtiger, ewiger Gott! In der Himmelfahrt deines Sohnes hast du den Menschen erhöht.“ Das, was wir „Himmel“ nennen, bedeutet, dass wir Menschen durch Christus bei Gott Platz haben.
Christus hat aber auch versprochen, dass er uns durch seine Erhöhung zum Vater nicht verlässt, ja: dass er in der Weise Gottes bei uns bleibt. Und alle, die in und mit ihm vollendet sind, haben Anteil an dieser Nähe des auferstandenen Christus zu Gott und auch zu uns. Denn Vollendung des Menschen heißt, dass alle, die in Gott ewig leben, vollkommen in der Liebe sind. Das gilt vor allem von der Mutter Jesu, deren Festtag wir heute feiern.
Aus diesem Glauben an die Nähe der Mutter Jesu auch zu uns, verehren seit frühesten Zeiten Christen die Mutter Jesu und rufen wir Maria auch in unseren Gebeten und Liedern an. Das ist es, was heute, an diesem Hochfest, viele Menschen in die Wallfahrtsorte unseres Landes und uns jetzt zur heiligen Messe geführt hat: wir hoffen, dass in der Nähe Mariens, die in den Himmel aufgenommen worden ist, auch für uns der Himmel offen ist.
[1] A. Müller/D. Sattler, Mariologie, in: Handbuch der Dogmatik (Hg. von Th. Schneider) Band 2, Düsseldorf 1992, S.186.