Ägydius – Glaubenszeuge durch sein ganzes Leben
Der 1. September war seit dem Mittelalter für die Stadt Graz ein wichtiges Datum, zu dem viele Leute in unsere Stadt gekommen sind: Zum Kirchweihtag und zum Gedenktag des Heiligen, auf dessen Namen eine Kirche geweiht worden ist, also mit einem kirchlichen Terminus anlässlich des „Patroziniums“, hat es außer festlichen Gottesdiensten auch Märkte gegeben, einen „Kir(ch)-Tag“. In Graz war das am Ägydi-Tag, also am 1. September, dem Festtag des hl. Ägydius, des Namenspatrons unserer Pfarr- und Domkirche und nach alter Tradition des Patrons der Stadt Graz. Heuer fällt dieser Tag auf einen Sonntag. Angeblich gibt es den „Egidi-Markt“ noch, allerdings weder als Volksfest, noch als Flohmarkt, jetzt werden mehr oder minder edle Antiquitäten angeboten. Wir sind jedenfalls zum Gottesdienst am Gedenktag des hl. Ägydius versammelt.
- Jeder Mensch ist eine Botschaft, und die Botschaft, die uns die Heiligen verkünden, hat mit dem Evangelium zu tun. Was also ist im Leben des hl. Ägydius vom Evangelium wahrnehmbar geworden?
Sein Name verweist uns auf seine ursprüngliche Heimat, Athen in Griechenland, in der er im 7. Jahrhundert als Sohn von wohlhabenden Kaufleuten geboren worden ist. Er hat den Auftrag des Evangeliums wörtlich genommen, sein ererbtes Hab und Gut – vielleicht auch edle Antiquitäten – verkauft und den Erlös den Armen gegeben, und ist als Einsiedler nach Frankreich in die Provence gezogen. An dieser Küste und auch die Rhone aufwärts gab es seit Jahrhunderten griechische Siedlungen; Marseille ist ja schon um 600 vor Christus als griechische Kolonie, als Apoikie Massalia gegründet worden.
In der Lesung aus dem Römerbrief des Apostels Paulus haben wir heute die Aufforderung gehört: „Gleicht euch nicht dieser Welt an (‚nolite conformari huic saeculo‘), sondern lasst euch verwandeln durch die Erneuerung des Denkens, damit ihr prüfen und erkennen könnt, was der Wille Gottes ist.“ Ägydius ist, wie schon andere Mönche – z.B. Antonius der Einsiedler und der hl. Benedikt – in einer Zeit, in der die Radikalität des Evangeliums durch eine Verbürgerlichung zu verblassen drohte, durch seine Entscheidung zu einem Zeichen für ein neues Denken aus dem Glauben geworden: er war zu seiner Zeit ein „Nonkonformist“. (Der Begriff „Nonkonformist“ verdankt sich übrigens diesem Wort aus der lateinischen Übersetzung des Römerbriefes.)
- Zur Erneuerung seines Denkens und um zu erkennen, was der Wille Gottes ist, hat sich Ägydius in die Einsamkeit und Stille zurückgezogen.
Voraussetzung für eine echte Erneuerung des Lebens ist ein gründliches Um-Denken. Dazu gehört: Von der Ruhelosigkeit, Gehetztheit und Zerstreuung unserer Ideen und Lebenskonzepte auszusteigen und sich zu sammeln. Der Priester und Religionsphilosoph Romano Guardini hat es zusammengefasst: „Sich sammeln heißt, diesen Trug der Unrast überwinden und ruhig werden; sich von allem freimachen, was nicht hergehört, und dem, der jetzt allein wichtig ist, nämlich Gott, zur Verfügung stehen.“[1] - Ägydius hat das vorgelebt.
Aber wie schon andere Mönche ist auch er zum geistlichen Lehrer und Leiter einer Mönchsgemeinde geworden. Und er und seine Mönche haben den Menschen Orientierung und Hilfe gebracht. Seit dem Mittelalter wird er zu den 14 Nothelfern gezählt - als einziger, der nicht als Märtyrer gestorben ist: er ist ein Glaubenszeuge – Martys – durch sein ganzes Leben. Das Hochaltarbild unserer Domkirche von Franz Ignaz Flurer von 1733 zeigt ihn inmitten von notleidenden Menschen, die bei ihm Hilfe suchen.
- Ägydius hat natürlich in einer anderen Zeit und unter anderen Umständen gelebt. Er ist in Städten und an Orten, wo Handel getrieben worden ist, besonders verehrt worden ist – z.B. in Rom, in Lübeck, in Steyr, in Klagenfurt und in Graz. In der Steiermark gibt es auch Ägydiuskirchen in Altaussee, Murau, Donnersbach, Obdach, Fischbach und Semriach – und an der südlichen Grenze St. Ägydius - Sentilij.
Die Traungauer- und Babenbergerherzöge, die die Verehrung des hl. Ägydius besonders gefördert und Ägidius-Kirchen errichtet haben, hatten auch eine besondere Nähe zu Mönchen, die als Eremiten gelebt haben, den Kartäusern. In ihrem untersteirischen Herrschaftsbereich sind zwei Kartausen errichtet worden – in Seitz und bei Cilli (Jurkloster).
Aber auch heute stellen Kirchen durch ihre Präsenz inmitten der Städte und Märkte einen Gegenpol zur Hektik des Alltags und der Umtriebigkeit von Handel und Industrie dar: als Orte der Stille laden sie zur Begegnung mit Gott ein. Wichtiger als Gebäude sind aber Personen, die vorgelebt haben und vorleben, dass es der Wille Gottes – unser geistiger Gottesdienst im Alltag – ist, Notleidenden zu helfen und den Besitz so zu gebrauchen, dass wir von ihm nicht besessen sind – wie z.B. der hl. Ägydius und Menschen heute, die seine Botschaft ernst nehmen.
In seiner Legende wird berichtet, dass der hl. Ägydius in der Einsamkeit, von einer Hirschkuh genährt, im Einklang mit der Schöpfung gelebt hat. Deshalb wird der hl. Ägydius auch mit einer Hirschkuh dargestellt. Sein Gedenktag, der 1. September, ist auf Anregung des ökumenischen Patriarchen Bartholomaios, die Papst Franziskus aufgegriffen hat, der Weltgebetstag für die Bewahrung der Schöpfung. Für uns Christen sind auch die Aufgaben im Bereich der Schöpfung, unsere Pflichten gegenüber der Natur, unsere Sorge um das Gemeinwohl Aufträge Gottes und damit Bestandteil unseres Glaubens. Der Weltfriede hängt unter anderem auch von unserer Umkehr in der Einstellung zur Schöpfung ab.
Nach katholischer Tradition sind unsere Namen nicht nur hilfreich zur Unterscheidung von anderen Menschen, sondern von unserer Taufe her eine Vorgabe und ein Auftrag. Die Heiligen, deren Namen bei unserer Taufe genannt worden sind, aber auch die Kirchenpatrone, sind durch ihr Leben in der Nachfolge Christi für uns eine Konkretisierung des Evangeliums, eine frohmachende Botschaft und ein Auftrag, in unserer Stadt und Umgebung, in unserer Zeit und auf unsere Weise den Willen Gottes zu erkennen und ihn wirksam werden zu lassen - persönlich aber auch in der Gesellschaft. Seien wir aufmerksam für die Botschaft, die uns dieser unser Stadt- und Kirchenpatron, der hl. Ägydius, verkündet!
Amen.
[1] R. Guardini, Vorschule des Betens, Mainz 1999, S. 22;