Was bleibt? Die Frage nach dem ewigen Leben
In den meisten Pfarren unseres Landes ist Anfang Oktober Erntedank gefeiert worden mit dem dankbaren Blick zurück auf das, was uns geschenkt worden, auch was uns gelungen ist. Auch wenn viel eigene Mühe – physisch und geistig – dabei war, so müssen wir doch mit Paulus gestehen: „Was hast du, das du nicht empfangen hättest?!“ (1 Kor 4,7). Diese Grundhaltung der Dankbarkeit werden wir wieder einüben und uns erhalten müssen.
Das Evangelium an diesem Sonntag lenkt unseren geistigen Blick aber auch in eine andere Richtung: Woraufhin leben wir?
- Die Frage des Mannes „Was muss ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen?“ klingt uns heutzutage fremd, ja fast sektiererisch; sie hat die Menschheit aber durch Jahrhunderte bewegt.
Und diese Frage war eine kulturelle Triebkraft zu großartigen Werken: Werken der Nächstenliebe – denken wir an Menschen, die sich der Armen und Kranken annehmen; Spitäler, Hospize, viele soziale Einrichtungen sind zur Ehre Gottes und zum Heil der Menschen errichtet, Kirchen und Klöstern mit vielen Kunstwerken in der Hoffnung auf ein ewiges Leben gestiftet worden. Die Frage nach dem ewigen Leben hat aber leider auch Ängste geschürt. Ich erinnere an die Sorge, die Martin Luther gequält hat: „Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?“ Und sie hat auch kollektive Wahnideen hervorgebracht, Kriege, die mit religiösen Parolen ausgefochten wurden und werden.
Wie gesagt: so wird die Frage des Evangeliums heute nur mehr selten gestellt. In säkularisierter Form und meist ohne Bezug zu einem religiösen Glauben ist sie aber vorhanden: im Hintergrund der Themen Klima und Umwelt, soziales Miteinander, digitale Lebenswelten, Urbanisierung, Arbeit von morgen; wie werden wir in Zukunft leben? Haben wir überhaupt noch eine Zukunft? - Während die Frage des Evangeliums von Hoffnung getragen ist, hat sich hingegen bei manchen derzeit eine Weltuntergangsstimmung breit gemacht. Der Pessimismus der „letzten Generation“ ist jedenfalls nicht die Richtung, in die uns das Evangelium lenken will.
Was meint „ewiges Leben“? „Das heißt doch: etwas, das so zu mir gehört, dass ich es nie verlieren und es mir nie genommen werden kann, das mich ganz macht; nicht nur etwas an mir, sondern ich selbst, meine Zukunft. Gesundheit, Ansehen, Schönheit, Erfolg, das wird mir irgendwann genommen… Was bleibt? Die Frage nach dem ewigen Leben ist (eigentlich) die Frage nach Gott.“[1]
Der Fragesteller im Evangelium – es wird ausdrücklich erwähnt: „er hatte ein großes Vermögen“ – ahnt, dass all das, was er erworben hat und besitzt, nicht ausreicht. Es ist gar nicht so selten, dass auch heute Menschen dieses Ungenügen erspüren. Wie begegnen wir ihnen und ihren Fragen?
- Über die erste Reaktion Jesu auf die Frage „Guter Meister, was muss ich tun?“ bin ich erstaunt: „Warum nennst du mich gut?“ – das scheint fast eine Distanzierung zu sein.
Immerhin verweist Jesus auf die Gebote Gottes. Der Mann war offenbar durchaus bestrebt, nach Gottes Willen zu leben – und Jesus anerkennt das. Der springende Punkt ist aber: dieser Mann meinte, dass er das ewige Leben durch sein Tun schaffen, machen könnte („Was muss ich tun?“). „Das Gute ist da, längst bevor wir ans Werk gehen. Es kommt nicht aus uns, sondern zu uns. Wir empfangen es mehr, als dass wir es tun. Das ewige Leben ist nicht zu machen.“[2]
Jesus antwortet: „Du kennst doch die Gebote“ – nämlich die Gebote, die das Leben mit den anderen Menschen im Blick haben. Dieses Wort verweist darauf, dass das ewige Leben, das Leben in und mit Gott, Wurzeln im Alltag hat: im Respekt vor dem Leben, in der Kultur des Zusammenlebens, im rechten Umgang mit dem Wort und den Sachen. Menschen, die sich daran orientieren, sind auf dem rechten Weg.
- Aber die Orientierung an diesen Geboten braucht noch einmal das richtige Vorzeichen: „Eines fehlt dir noch!“ Das ewige Leben ist eine Gabe Gottes.
„Wie schwer ist es für Menschen, die viel besitzen, in das Reich Gottes zu kommen.“ Das Bild vom Kamel und dem Nadelöhr ist sprichwörtlich geworden; und immer wieder hat man versucht, es zu entschärfen. Der Reichtum kann uns verführen, dass wir ihn – eingestanden oder uneingestanden – zu dem machen, was unsere Sorge, unser Denken, unser ganzes Herz erfüllt: Paulus spricht von der „Habsucht, die Götzendienst ist“ (Kol 3,5). Die ersten drei Gebote Gottes setzen darum das Vorzeichen vor alles: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit allen deinen Kräften.“
Die Frage nach dem „ewigen Leben, nach dem, das so zu mir gehört, dass ich es nie verlieren und es mir nie genommen werden kann, das mich ganz macht“, weckt die Rückfrage an uns: Wie stehen wir zu Gott?
Das „Haben“ kann an die Stelle Gottes treten. Aber auch die egoistische Scheu vor Verantwortung und die Geringschätzung der Güter, die uns anvertraut sind, kann die Ausrichtung auf das Ziel unseres Lebens behindern.
„Wer kann dann noch gerettet werden?“ Ist es überhaupt jemandem möglich, das ewige Leben zu erwerben? Jesus sagt uns: Ja, „für Menschen ist das unmöglich, aber für Gott ist alles möglich.“ Das Leben in Gott ist immer ein Geschenk – und Er ist es, der uns das Leben gibt, das wir nicht mehr verlieren.
Es gibt derzeit innerhalb und außerhalb der Kirche Leute, die befremdet sind, dass Papst Franziskus die Probleme von Klima und Umwelt, sozialem Miteinander, digitalen Lebenswelten, Urbanisierung, Arbeit von morgen, künftigem Lebensstil u.a. zum Thema von Enzykliken, Predigten, Bischofssynoden macht. Die Kritiker übersehen allerdings, dass der Papst diese Anliegen ausdrücklich auch mit dem Glaubensbekenntnis verbindet – durchaus in der Tradition der Verkündigung seiner Vorgänger Johannes Paul II. und Benedikt XVI. „Die Berufung, Beschützer des Werkes Gottes zu sein, praktisch umzusetzen gehört wesentlich zu einem tugendhaften Leben; sie ist weder etwas Fakultatives noch ein sekundärer Aspekt der christlichen Erfahrung“ (LS 217).
Für uns Christen gilt, dass unsere Aufgaben im Bereich der Schöpfung, unsere Pflichten gegenüber der Natur und dem Schöpfer Bestandteil unseres Glaubens sind. Ökologische Verpflichtungen haben mit unseren Glaubensüberzeugungen zu tun und stehen in Beziehung zu den Geboten Gottes[3] und damit auch zum „ewigen Leben“.
[1] F. Kamphaus, Das Leben gewinnen, in: Auf den Punkt gebracht. Biblische Anstöße, Freiburg 1994, S. 88;
[2] F. Kamphaus, a.a.O. S, 165.
[3] s. Pp. Franziskus, Enzyklika LAUDATO SI‘ über die Sorge für das gemeinsame Haus, Rom 2015, Nr.64;