Die eigene Berufung zur Heiligkeit
Zur Frühzeit der Christenheit war es eine "Selbstverständlichkeit", einander als "Heilige" anzusprechen. Dies deswegen, weil, wie in den Evangelien berichtet, mit dem Tod Jesu der "Vorhang im Tempel" entzweigerissen ist, hinter dem das Allerheiligste angebracht war. Erst damit war es allen möglich, gleichsam "Aug' in Aug'" mit Gott zu sein. - Unsere Gebete und Worte direkt an Gott spiegeln die Erkenntnis der Unmittelbarkeit aller Getauften zum Schöpfergott wider, etwa wenn wir ihn "Vater" nennen. Ist man Gott nahe, ist man im Raum des Heiligen schlechthin. - Diese Tatsache ist leider vielfach abhanden gekommen und reduziert worden auf jene, die formell heiliggesprochen werden bzw. wurden, also denen gleichsam bestätigt wird, dass sie ihren Lebensweg voll auf Gott ausgerichtet haben. - Tatsache ist: Der eine Heilige, Gott selbst, gibt uns allen Anteil an seiner Liebe und Nähe, die ewig währt. Und dies ist das alles entscheidende Ziel unseres Wegs in der Nachfolge: Leben bei und mit Gott auf ewig, weil wir durch Taufe und Firmung alle in dieselbe, unabänderliche Liebe Gottes geholt worden sind. Innerhalb der Gemeinschaft derer, die die Kirche bilden, gibt es - wie in jeder Gemeinschaft - unterschiedliche Ämter und Aufgaben, deren Inhaber aber nicht "mehr" wert sind, sondern nur spezielle Verantwortungen haben.
Wenn in den vergangenen Tagen in Rom die Synode "über die Synode" zu Ende gegangen ist, dann wurde dies auch in der Zusammensetzung der Synode deutlich. Nicht nur Bischöfe waren vor Ort, sondern auch Frauen und Männer, die als Laien stimmberechtigt teilgenommen haben. Und - die Zeit vergeht ja schnell - alle waren seit 2021 eingeladen, sich in unterschiedlichen Phasen dieses weltweiten Ereignisses zu beteiligen. Das Ziel war, zu verdeutlichen, was eine synodale Kirche bedeutet und wie sie sich gestalten muss, will sie mehr ihrem Auftrag entsprechen; nämlich gemeinsam weiterzumachen, als Gemeinschaft aller Getauften. - Die weltweiten Beratungen wurden abgeschlossen, der Papst hat das Schlussdokument angenommen und ohne ein weiteres Schreiben dazu der gesamten Kirche übergeben. An uns, den "Heiligen in der Kirche von Graz-Seckau", liegt es nun, das Mögliche vor Ort hier bei uns deutlich werden zu lassen. Auch in der kommenden Herbstvollversammlung der Österreichischen Bischofskonferenz werden wir ausführlich darüber sprechen, wie wir gemeinsam weitermachen werden. In der Steiermark selbst haben wir schon den einen oder anderen Schritt in diese Richtung gemacht: So etwa wird zu Beginn des kommenden Jahres eine Diözesankonferenz stattfinden, in der wir hinkünftig regelmäßig überlegen wollen, wie wir uns als römisch-katholische Kirche in dieser Welt verstehen. Auch die Ordnungen unserer kirchlichen Gremien und die Art und Weise, wie wir zu Entscheidungen kommen, wurden dem entsprechend angepasst. Es gilt nun, alles angesichts der Beratungen in Rom zu betrachten und weitere notwendige Schritte in Einheit mit der ganzen Kirche zu gehen.
Geheiligte in Christus!
Ich möchte Sie am heutigen Festtag dazu ermuntern, nicht nur an herausragende Persönlichkeiten zu denken, wie etwa den erst vor kurzem heilig gesprochenen Franziskaner Engelbert Kolland, der eine Zeit seiner Kindheit und Jugend in Rachau in der Obersteiermark gelebt hat. Ich möchte Sie einfach einladen, sich der eigenen Berufung in die Nähe Gottes und damit der eigenen Heiligkeit bewusst zu werden und dem entsprechend - zum Segen für diese, unsere Welt - im Heute zu leben. "Vergelt's Gott!" für Ihr Leben und damit auch für Ihr Zeugnis, dass unser Glaube, dass das Heilige auch heute noch Sinn hat und Freude macht.