Erwählt, Gottes Kinder zu werden

Der heutige Feiertag, der 8. Dezember, war vor Jahren - im Spannungsfeld zwischen dem kirchlichen Festtag und einem vorweihnachtlichen Einkaufstag - immer wieder heftig umstritten. Heuer fällt er auf einen Sonntag. So könnte die Beziehung dieses Tages zu dem, was wir im Advent und an jedem Sonntag feiern, deutlicher werden. Auch wenn wir heute auf die Mutter Christi schauen, ist jede Wahrheit des Glaubens eine Botschaft Jesu Christi.
- Was wir Katholiken mit diesem Tag bekennen, hat allerdings auch unabhängig von den wirtschaftlichen Interessen am 8. Dezember eine bewegte Geschichte.
Das Glaubensgeheimnis, das wir heute feiern, wurde unter anderem Namen in der Ostkirche manchenorts schon vor 1000 Jahren begangen und ist von dort in den Westen gelangt. - Im Spätmittelalter ist es über den Festinhalt zu einer Kontroverse zwischen den Theologen vor allem der Ordensgemeinschaften der Dominikaner und Franziskaner gekommen: Die Franziskaner haben im 13. Jahrhundert diesen Tag als Eigenfest ihres Ordens eingeführt, die Theologen des Predigerordens Albertus Magnus und Thomas von Aquin haben es zunächst aus dogmatischen Gründen abgelehnt.
Denn es ist eine Grundüberzeugung unseres Glaubens, dass Jesus alle – alle! – Menschen erlösen wollte. Die Kirche ist aber auch seit jeher davon überzeugt, dass Maria ohne Sünde war; da ist die Frage aufgekommen, musste auch Maria wie alle anderen Menschen „erlöst“ werden? - Eine theologische Lösung ist vom Franziskanertheologen Johannes Duns Scotus (1266-1308) angeboten worden: Maria wurde im Hinblick auf ihren Sohn „vor-erlöst“. Erst im 19. Jahrhundert – heute vor 170 Jahren, am 8. Dezember 1854 – hat Papst Pius IX. das Dogma der „Unbefleckten Empfängnis Mariens“ feierlich verkündet. –
- Der Name des Festes hat aber seit jeher zu falschen Deutungen geführt. Und dazu hat auch das Evangelium beigetragen, das uns gerade verkündigt worden ist:
Der heutige Tag ist nicht das Fest der Verkündigung an Maria durch den Engel, dass sie ein Kind, Jesus, den Erlöser, empfangen wird. Dieses Glaubensgeheimnis feiern wir am 25. März – neun Monate vor Weihnachten. Heute in neun Monate werden wir am 8. September das Fest „Mariä Geburt“ feiern.
Die Lesung aus dem Epheserbrief enthält aber den Schlüssel für das Verständnis des heutigen Festtages: Die Verse dieser Lesung sind ein Danklied für unser aller Berufung zum Christsein: Gott hat uns erwählt vor der Grundlegung der Welt und uns im Voraus dazu bestimmt seine Kinder, Brüder und Schwestern Jesu Christi zu werden.
Auch Maria ist im Voraus von Gott dazu erwählt worden, Mutter Jesu Christi zu werden, und ist dafür auch mit der Gnade Gottes beschenkt worden: Sie wird vom Engel als Begnadete angesprochen – das nur sehr selten zu findende griechische Wort im Lukasevangelium dafür ist „kecharitomene“: wir greifen es immer wieder im Gruß an Maria auf, wenn wir von ihr sagen: sie ist „voll der Gnade“. Und wir bekennen damit die besondere Aufgabe Marias im Heilsplan: ihre einzigartige Erwählung zur Mutter des Erlösers.
Im theologischen Bedenken und der gläubigen Betrachtung der biblischen Texte ist Maria oft mit Eva verglichen worden: und sie wird im Evangelium seliggepriesen, weil sie geglaubt hat. Das ihr vom Geist Gottes eingegebene und von ihr in Freiheit gesprochene Wort: „Mir geschehe, wie du es gesagt hast!“ gehört zur Geschichte unseres Heils.
- Wir feiern heute also die Erwählung Marias vom ersten Augenblick ihrer Empfängnis an im Schoss ihrer Mutter, und dass Gott Maria von aller Verwobenheit in den sündigen Zusammenhang der Menschheit - in der Sprache der Tradition: von der „Erbsünde“ - bewahrt hat. Die Ostkirche feiert seit über tausend Jahren dieses Fest der Erwählung Mariens.
Dass Maria über diese Anrede und über die Bedeutung dieses Grußes erschrak, wie es im Evangelium steht, war auch für die Christen und die Kirche seit jeher Anlass, über diese Botschaft nachzusinnen.
Wir feiern den Advent und stellen uns die uralte Frage „Warum wollte Gott Mensch werden?“ Die Antwort finden wir im Evangelium: Gott hat aus Liebe seinen Sohn in die Welt gesandt, damit die Welt durch ihn aus diesen todbringenden Abgründen gerettet wird, und damit jeder, der an ihn glaubt, neues Leben von Gott empfängt. Wir glauben, dass Gott uns in Jesus Christus entgegenkommt.
Der Philosoph Josef Pieper hat in seinen Überlegungen zu einer Theorie des Festes geschrieben, dass denen, die ein Fest begehen, etwas ihr Leben Bereicherndes zuteil geworden sein muss[1]. Dieses Geschenk, das wir mit dem Blick auf Maria dankend feiern, ist, dass Gott auch uns, die er kennt und liebt, mit seiner Gnade zuvorkommt, uns nicht überfordert, sondern uns fähig macht, unseren Lebensauftrag zu erfüllen.
Vor einer Woche haben wir am 1. Adventsonntag gebetet: „Gott, du schenkst uns das Wollen und das Vollbringen“. Darum dürfen wir auch bitten: „Komm unserem Tun mit deiner Gnade zuvor und begleite es, damit alles, was wir beginnen, in dir seinen Anfang nehme, von dir begleitet und durch dich vollendet werde.“
Amen.
[1] J. Pieper, Zustimmung zur Welt. Eine Theorie des Festes, München 1963, S. 43.