Gott ist Nähe, Mitgefühl und Zärtlichkeit

Wir haben Weihnachten gefeiert in unseren Wohnungen und tun es jetzt auch in der Dom- und Pfarrkirche. Vermutlich war es daheim wie alle Jahre: im Kreis der Familie oder von Freunden, mit Weihnachtskrippe, vielleicht dem bekannten Evangelium von der Geburt Jesu in Betlehem, mit den uns vertrauten Liedern. Wenn Kinder mitgefeiert haben, hat es vielleicht auch das Symbol der verschlossenen Tür gegeben, die erst auf ein Klingeln geöffnet wird und uns dann den mit Kerzen geschmückten Christbaum zeigt. Es gibt familiäre Rituale, die wir bewahren sollen.
- Im Vergleich dazu stellt die Botschaft dieses festlichen Gottesdienstes am Nachmittag des Christtages fast einen Kontrast dar: Kein Wort vom Stall in Betlehem, keine Engel, auch das Evangelium scheinbar abstrakt: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.“
Ich habe heuer für meinen Gruß, den ich – wie alljährlich – schon im Advent und für Weihnachten vielen Freunden gesandt habe, keine Krippendarstellung gewählt, sondern das Bild der bei der Domrenovierung entdeckten gotischen Tür hier im Presbyterium mit dem Wort Christi aus der Offenbarung des Johannes: „Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wenn einer meine Stimme hört und die Tür öffnet, bei dem werde ich eintreten und Mahl mit ihm halten und er mit mir.“ (Offb 3,20).
Vielleicht verdankt sich der Brauch von der zunächst verschlossenen Tür zum Christbaum in unseren Wohnungen diesem Wort aus dem letzten Buch der Heiligen Schrift. Jedenfalls hat die Feier von Weihnachten den Sinn: dass wir – Kinder und Erwachsene -, dass wir alle selbst offen werden für die Begegnung mit dem, der uns als Mensch entgegenkommt: dem lebendigen Gott.
- Im kommenden Jahr werden es 1700 Jahre her sein, dass in Nizäa[1] – nahe an Konstantinopel - das erste ökumenische Konzil die Grundzüge unseres Glaubensbekenntnisses formuliert hat: der, dessen Geburtstag wir heute feiern, Jesus Christus, ist „Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott, eines Wesens mit dem Vater.“
Deshalb gehört der Prolog des Johannesevangeliums zur Botschaft von Weihnachten: „Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott“. Wir feiern heute die Begegnung von Himmel und Erde, dass Gott in der Menschwerdung seines Wortes zu uns gekommen ist, um einer von uns zu werden, unser Leben zu teilen: ein Ereignis, vergleichbar mit der Schöpfung. Indem wir Christus, dem Menschensohn begegnen, begegnen wir Gott: „Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen“ (Joh 14,9b).
Aber: „Cur Deus homo – Warum wollte Gott Mensch werden?“ Die Antwort ist uns in der Aussage des Hebräerbriefes gegeben, aus dem wir heute die zweite Lesung gehört haben, der Theologe aus dem Franziskanerorden Johannes Duns Scotus[2] hat sie zusammengefasst im Wort: „Deus vult alios habere condiligentes“; Gott wollte nicht bei sich bleiben, sondern ein Gegenüber haben, dem er sich liebend zuwenden kann:[3] Gott sucht Mitliebende. Christus hat gezeigt und erleben lassen, „dass Gott Nähe, Mitgefühl und Zärtlichkeit ist“, wie Papst Franziskus in seiner jüngsten Enzyklika schreibt: Gott hat ein Herz für uns Menschen: „DILEXIT NOS: Er hat uns geliebt“[4]
- Gott sucht Mitliebende. Der Glaube an Gott meint nicht ein Bescheid-Wissen über Gott, sondern eine persönliche Beziehung zu ihm, dem Ganz-Anderen, mit dem wir Menschen vertraut werden dürfen. Um uns das möglich zu machen, ist er zu uns als Mensch gekommen, in Jesus Christus.
Die Menschwerdung Gottes ist zwar ein einmaliges Ereignis, aber zu ihr gehört auch die ganze Geschichte des Lebens Jesu: sein Kindsein, seine Taufe durch Johannes, seine Predigt, seine Zuwendung zu den Armen und Ausgegrenzten: in all dem sollen wir erfahren, dass in Gott auch ein menschliches Herz schlägt, Jesu Heiligkeit hat seine „Gefühle nicht ausgelöscht: bei einigen Gelegenheiten zeigten sie eine leidenschaftliche Liebe, die mit uns leidet, gerührt ist, klagt und sogar weint… Schließlich wird auch die Angst Jesu vor seinem eigenen gewaltsamen Tod durch die Hand derer, die er so sehr liebte, nicht verschwiegen: ‚Da ergriff ihn Furcht und Angst‘ (Mk 14,33)“.[5]
Gott sucht Mitliebende. Die beste und angemessene Antwort darauf ist: Gottes Liebe durch die Liebe zu unseren Brüdern und Schwestern zu erwidern: „Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, kann Gott nicht lieben, den er nicht sieht“ (1 Joh 4,20).
Diese Liebe erfordert eine Verwandlung unseres egoistischen Herzens. Dass wir einander zu diesem Fest Freude bereiten wollen, aber auch die verschiedenen Hilfsaktionen, die im Advent und in der Weihnachtszeit an unsere Großzügigkeit und Freigebigkeit appellieren, sind ein Zeichen, dass wir etwas vom Sinn des Christfestes verstanden haben.
„Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wenn einer meine Stimme hört und die Tür öffnet, bei dem werde ich eintreten und Mahl mit ihm halten und er mit mir.“ Beten wir darum, dass wir in diesen festlichen Tagen seine Stimme hören, und seine Nähe erfahren und dass wir mit ihm auch weiterhin unsere - seine Wege gehen!
[1] Nizäa (griech. Nikaia, heute Iznik), Stadt in Kleinasien, Konzil von Nizäa im Jahr 325;
[2] Johannes Duns Scotus OFM (1265/66- 1308);
[3] M. Striet, Herderkorrespondenz Spezial, Okt. 2022, S. 6;
[4] Papst Franziskus, Enzyklika DILEXIT NOS. Über die menschliche und göttliche Liebe, 2024, Nr. 35.
[5] Ders. a.a.O. Nr.44f;