Geh und sündige von jetzt an nicht mehr

Die Texte der Liturgie der Fastenzeit erinnern daran, dass die Wochen vor Ostern für die Taufbewerber, die Katechumenen, eine letzte Vorbereitung auf die Spendung des Sakraments der Taufe in der Osternacht waren, und sie sind auch heute für uns, die Getauften, eine Hinführung zur Tauf-erneuerung. Vor allem geht es um das, was Paulus der Gemeinde in Philippi als sein eigenes Lebensprogramm mitteilt: „Christus will ich erkennen!“ Dieses „Erkennen“ im biblischen Sinn meint nicht nur ein Bescheidwissen über Jesus, sondern ein Vertrautwerden mit ihm, der für uns das Kreuz auf sich genommen und sein Leben hingegeben hat.
- Heute, eine Woche vor dem Palmsonntag und dem Beginn der Karwoche, wurde uns aus dem Johannesevangelium eine Szene verkündigt, die zum Urgestein der Jesus-Überlieferung gehört und auch sprachlich dem Lukasevangelium nahe ist.
Erinnern wir uns an die Mahnungen Jesu an den Sonntagen vor der Fastenzeit: „Richtet nicht! Verurteilt nicht! Erlasst einander die Schuld!“ und: „Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge; dann kannst du zusehen, den Splitter aus dem Auge deines Bruders herauszuziehen!“ (Lk 6,37f.41f). Wegen solcher Aussagen haben die Schriftgelehrten versucht, Jesus eine Falle zu stellen. Im Fall einer in flagranti ertappten Ehebrecherin war die Rechtslage eindeutig: Steinigung! Wenn Jesus ihnen recht gibt, widerspricht er seiner Verkündigung. Wenn er ihnen widerspricht: ist er selbst zu verurteilen.
- Die Antwort Jesu ist nicht schlau – im Sinne: „Wie weiche ich dieser Falle aus“ -, sondern anders:
Jesus verharmlost die Schuld nicht: denken wir an die Wehe-Rufe, die Jesus an die Seligpreisungen angefügt hat (Lk 6,24ff); oder, dass er im „Gleichnis vom verlorenen Sohn und barmherzigen Vater“ den sündigen Lebenswandel des Sohnes als ein Tot-Sein qualifiziert (Lk 15,24.32); erinnern wir uns auch an das harte Urteil über jemand, der den Kleinen ein Ärgernis gibt: „Für den wäre es besser, wenn ihm ein Mühlstein um den Hals gehängt und er in der Tiefe des Meeres versenkt würde“ (Lk 17,2).
Aber schon im Buch Deuteronomium lesen wir: „Das Gericht hat mit Gott zu tun“ (Dtn 1,17). Auch jeder Richter muss darum wissen, dass er letztlich nicht in einen Menschen hineinschauen kann, nur Gott kennt das Herz, die innersten Beweggründe eines Menschen. So wird Kain, der seinen Bruder Abel ermordet hat, im Buch Genesis zugesagt, dass ein Todesurteil gegen ihn nicht der Wille Gottes ist.
Zur Frage der Rechtmäßigkeit eines Todessurteiles hat es ja noch bis vor Kurzem auch innerkirchlich eine Kontroverse gegeben: in der ersten Ausgabe des Katechismus der Katholischen Kirche (1993) ist die überlieferte Lehre der Kirche, in manchen Fällen die Todesstrafe zu verhängen, verteidigt worden. Papst Franziskus hat in dieser Frage eine eindeutige Korrektur verlangt – was von manchen Kreisen der Kirche nach wie vor nicht akzeptiert und dem Papst vorgeworfen wird.
- Dieses Evangelium mit der Antwort Jesu an die Schriftgelehrten und Pharisäer und dem erlösenden Wort an die Ehebrecherin wird uns wenige Tage vor der heiligen Woche verkündigt: „Auch ich verurteile dich nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht mehr!“
Das Wort und das Handeln Jesu haben der Frau ein neues Leben ermöglicht. Dieses aus den ältesten Überlieferungen von Jesus stammende Evangelium belegt, dass der eigentliche Anlass für die Auslieferung Jesu ans Kreuz kein politischer Aufstand war, wie die führenden Kreise Jerusalems Pilatus glauben machen wollten, sondern der tödliche Konflikt Jesu mit den religiösen Eliten Jerusalems über sein Gottesverständnis und das Gesetz. Schon damals hat es also „Fake-News“ gegeben, um Fakten zu schaffen.
Das Faktum, das Kreuz Jesu, ist aber zum Zeichen für die Wahrheit geworden, dass Gott nicht den Tod des Sünders will, sondern dass er lebt. Für diese Botschaft und sein Handeln ist Jesus zum Tod verurteilt worden. Und das Wort Jesu gilt vor allem von ihm selber: „Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt“ (Joh 15,13).
Für seine Freunde, für uns hat Jesus sein Leben hingegeben, das sollen wir „erkennen“, das soll unser Leben prägen, das soll unseren Glauben und unsere Freundschaft mit Jesus erneuern.