Er ist die Schwerkraft der Liebe

Wir feiern einen der höchsten Feiertage der Kirche: Pfingsten – ein Fest, das von den meisten nicht für so wichtig gehalten wird. Aber das deutsche Wort „Pfingsten“ geht zurück auf das griechische Wort für 50 – Pentekoste - (7 mal 7 und 1 ergibt 50) und das ist seit der Antike und in der jüdisch-christlichen Tradition eine Symbolzahl für Fülle und Vollendung. Schon vom Namen Pfingsten her wird also angedeutet, dass das, was wir vor 50 Tagen gefeiert haben, die Auferstehung Christi und unsere Taufe, erst in der Aussendung des Heiligen Geistes vollendet wird. Der auferstandene Christus – so haben wir heute im Evangelium nach Johannes gehört – bringt als Gabe seines neuen Lebens der Kirche und den Glaubenden seinen Heiligen Geist.
- Vielleicht hat unsere Geringschätzung von Pfingsten gerade damit zu tun, dass uns fremd geworden ist, was mit dem Begriff „Geist“ gemeint ist.
Ein Festtag soll zwar nicht zum Jammern missbraucht werden. Ein nüchterner Blick ist aber angebracht. Die Wahrnehmung, die Kardinal Kasper vor Jahren, damals Dogmatikprofessor an der Universität in Tübingen, beschrieben hat, dürfte leider nach wie vor zutreffen: „Der Verlust der Dimension und der Sache, die das abendländische Denken mit Geist umschrieben hat, ist vielleicht die tiefste Krise der Gegenwart.“[1]
Auch wenn wir nicht ausdrücklich vom Geist reden, leiden viele an geistlosen Zuständen im Großen und im Kleinen, global und bis hinein in den privatesten Bereich. Öffentlich wird meist ein materialistisches, geheimnisleeres Bild vom Menschen kolportiert. Die Folge? Das Aneinander-vorbei und Unverständnis füreinander greifen um sich.
- Allerdings: Die umgangssprachliche, kulturphilosophische, ja auch biblische Rede vom Geist ist nicht einfach mit dem Mysterium des Heiligen Geistes gleichzusetzen. Aber „Geist und Heiliger Geist rufen sich gegenseitig“ , wie der vor 80 Jahren hingerichtete - ermordete - Jesuit P. Alfred Delp formuliert hat.[2]
Im biblischen Sprachgebrauch ist der Geist die schöpferische Lebenskraft in allen Dingen, die das Chaos überwindet. Der Geist ist das, was den Menschen zum Menschen macht, die Gabe des Messias, die Vollendung der Erlösung. Ja: Der Geist ist das In-uns-Sein Gottes, das uns einführt in die Wahrheit. Und er bleibt oft unerkannt, wirkt aber in uns. Deshalb hat man den Heiligen Geist auch „den unbekannten Gott“ genannt.
In biblischer Tradition (Jes 11, 2) sprechen wir von den sieben Gaben, die vom Heiligen Geist ausgehen, und an denen er uns Anteil gibt:
- Weisheit und Einsicht – also der Blick auf den Sinn und das Ganze;
- Rat und Stärke – der Geist redet uns ins Gewissen und verleiht Mut;
- Erkenntnis und Gottesfurcht – die Fähigkeit der Unterscheidung des Göttlichen von den Götzen und das Ahnen, dass Gott ein Geheimnis bleibt, vor dem wir nicht Angst, wohl aber Ehrfurcht haben müssen, auch als Voraussetzung für den rechten Umgang mit dem Menschen – dem Bild und Gleichnis Gottes;
- zusammengefasst in die Gabe der Frömmigkeit - als Grund-einstellung, als Glaube der unser Leben durchdringt.
- Im Johannesevangelium vergleicht Jesus den Geist mit dem „Wind, der weht, wo er will“ (Joh 3, 8). Paulus spricht im Galaterbrief (5, 22f) von der Frucht des Geistes: „Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung.“
Wir dürfen verstehen: wo immer diese Früchte sich zeigen, ist der Geist Gottes am Werk; und sogar, wo wir solche Früchte vermissen und ersehnen, ist es noch einmal der Geist Gottes, der danach verlangt - mit den Worten des hl. Augustinus gesagt: „Er ist die Schwerkraft der Liebe, der Zug nach oben, welcher der Schwerkraft nach unten widersteht und alles zur Vollendung in Gott führt.“[3] - Und der Heilige Geist wirkt so vielfältig, wie wir im Hymnus „Veni, Sancte Spiritus“[4] bitten:
„Was befleckt ist, wasche rein; Dürrem gieße Leben ein; heile du, wo Krankheit quält. Wärme du, was kalt und hart; löse, was in sich erstarrt; lenke, was den Weg verfehlt.“
Danken wir Gott, dass uns diese Gabe des auferstandenen Herrn verheißen ist und geschenkt wird, und bitten wir, dass wir offen und bereit sind für die Eingebungen des Heiligen Geistes!
[1] W. Kasper, Der Gott Jesu Christi, Mainz 1982, S. 246f;
[2] A. Delp, zit. von Roman Bleistein, in: Stimmen der Zeit, August 1996, S. 506;
[3] Augustinus, Confessiones XIII,7,8, zit. von W. Kasper a.a.O. S. 250;
[4] Lateinischer Text von Stephen Langton um 1200, GL Nr. 343; deutsche Übersetzung Marie Luise Thurmaier und Markus Jenny, GL Nr. 344.