Auf der Suche nach Leben
1. Wir alle kennen diese Stelle aus dem Evangelium. In ihrer Spannung ähnelt sie jener, die in den Rufen am Palmsonntag wie denen vom Karfreitag überliefert ist. Üblicherweise wird bei der Weihe der heiligen Öle nur ein Teil dieser bemerkenswerten Stelle aus dem Evangelium nach Lukas verkündet. Ich habe gebeten, uns heute die ganze Passage zu Gehör zu bringen, damit wir die Herausforderung wahrnehmen, in der damals unser Herr von Anfang an gestanden ist und damit auch jene Spannungen, in die wir als seiner Jüngerinnen und Jünger im Heute unserer Gesellschaft gestellt sind – zumal als jene, die in unserer Kirche einen geweihten Dienst ausüben oder in den Evangelischen Räten leben.
2. Die Sehnsucht nach erfülltem Leben haben viele - Jesus hat es denen verheißen, die ihm folgen. Zugleich wird in unserer Gesellschaft ein Leben, das sich dem Evangelium und seinen Räten verpflichtet weiß, immer wieder hinterfragt. Freilich: Es geht auch darum, Nachfolge möglichst authentisch zu leben und nicht bloß Wasser zu predigen und Wein zu trinken. Offensichtlich ist, dass es auch unter denen, die ein solches Leben versprochen haben, Scheitern gibt. Doch möchte ich nicht abrücken davon, für mich selbst - und ich hoffe, dass ich heute für viele hier in unserer Kathedrale spreche - zu sagen: Menschliches Dasein, das auch in der Lebensform deutlich macht, wie sehr ich mich dem einzigen Herrn und Meister verschrieben habe, ist ein beglückendes und erfülltes, das mich täglich einlädt, all das zu entdecken, was ER mir bereitet hat. Dafür möchte ich allen unter uns, die sich täglich neu dazu aufmachen, ein großes "Vergelt's Gott!" sagen.
3. Wir alle nehmen wahr, dass sich viele in unserer Gesellschaft auf der Suche wissen. Und zugleich wird diese Suche da und dort unter dem Deckmantel der "Selbstbestimmung" pervertiert. Die Botschaft der Kirche, auf der einen Seite das persönliche Leben zu schützen und zugleich damit auch die Nächsten und die nachfolgenden Generationen im Blick zu haben, wird teilweise moralinsauer dargestellt. Eben haben wir gehört: Jesus ist seinem Auftrag treu geblieben, aus dem Willen des Vaters heraus bestimmt zu leben, und hat dies durchgetragen - auch wenn die Gesellschaft, die ihn umgeben hat, sich anders gab.
Es ist zur Kenntnis nehmen, dass keineswegs alle in unserer Gesellschaft jene Werte teilen, die uns bedeutsam sind. Wir haben zu lernen, damit umzugehen und zugleich (!) nicht müde zu werden, in Liebe "unsere" Ideale zu verkünden und selbst mit aller Ernsthaftigkeit zu leben, die uns aus der Frohen Botschaft erwächst.
4. Da wird immer wieder Hoffnung in die Kirche gesetzt als Hüterin des Evangeliums. Zugleich aber gilt es zu sehen, dass manche sich Kirchenreformen anders und schneller wünschen. Der Weg, den unser Papst mit dem synodalen Prozess vorangeht, lädt alle (!) ein, das Hören aufeinander neu einzuüben - auch weil dies ein wichtiger Beitrag ist, sich in der Gesellschaft als jene zu verstehen, die verbinden und nicht trennen, die zusammenholen und -halten und nicht auseinander treiben. Da mag da und dort - auch von Amtsträgern, wohl auch von mir - gerade in den Herausforderungen der letzten Zeit so manches falsch und nicht verbindend gesagt worden sein - entgegen der Botschaft, deren Verkündigung uns aufgegeben ist, die wir den Auferstandenen als das einzige Haupt der Kirche sichtbar darstellen. Letztlich gipfelt der Gehorsam IHM gegenüber darin, uns davon zu befreien, zu meinen, die Herren der Welt zu sein. Und: mit einem solchen Lebensstil wird deutlich, was unser gemeinsamer Auftrag in der Sendung ins Heute ist und daher auch, wieso und wozu es Geweihte in unserer Kirche braucht.
5. Da suchen Menschen - berechtigter Weise - nach Sicherheit und Orientierung. Und zugleich erleben wir: Es prallen Meinungen in der Gesellschaft, Standpunkte und Blickwinkel zu so manchen Fragen auch in der Kirche scheinbar unversöhnlich aufeinander und manche fühlen sich nicht wahrgenommen. Verantwortungsträger sind herausgefordert: "Wie schaffe ich es, nicht nur einen Teil ernst zu nehmen, also Partei im Wortsinn zu sein?" Sich allen verpflichtet zu wissen, weil wir zu allen gesendet sind, ist keine angenehme Aufgabe, weil dies das Kreuz einschließt. Wenn aus dem Evangelium der Weg gewiesen wird, bedeutet dies - wir haben es eben gehört - dass nicht alle hinter einem stehen, sondern dass auch andere Interessen und Meinungen existieren. Die Sendung zu allen bleibt freilich aufrecht - und Haltungen des Evangeliums einzunehmen bedeutet zugleich auch die Verpflichtung, diese gut zu kommunizieren, damit wir jedenfalls gemeinsam voranschreiten können.
6. Die Situationen, in denen wir unser Christsein heute leben, sind immer wieder schwierig. Seit einigen Wochen wird dies erneut deutlich, da die ohnedies krisenhaften Zeiten durch einen Krieg vor unserer Haustür noch einmal verschärft wurden. Daher möchte ich die heutige Feier auch dazu nutzen, all jenen unter uns von Herzen zu danken, die ihre Gelübde treu zu leben versuchen, all den Priestern unter uns danken, die inmitten der sich radikal ändernden Gesellschaft an IHM festhalten - auch in ihrer Lebensform. Und die trotz aller Veränderungen den Weg und das Ziel, das ER ist, nicht aus dem Auge verlieren. Und ich danke den Diakonen, die zumeist neben ihrem Beruf die Sendung der Kirche hinein in die Welt - beginnend bei ihren Familien - bewusst zu leben. Sein Leben und Seine Nähe zu verkünden ist unser aller Berufung aus Taufe und Weihe. Ihr alle bringt damit Freude und Hoffnung zu den Menschen, die bedrückt sind von Sorgen, von Trauer und Angst.
7. Freude und Hoffnung gebracht haben auch jene, die uns im letzten Jahr vorausgegangen sind. Gedenken wir der Priester, Diakone uns Ordensleute, die verstorben sind. Das ewige Licht leuchte ihnen, bis wir alle im Reich Gottes vereint sein werden.