Leben trotz Todeswahrnehmungen
Christus ist erstanden. Er ist wahrhaft auferstanden!
1. Als ich an einem Wochenende vor einiger Zeit während meiner von COVID auferlegten Quarantäne im Bischofsgarten meinen Gedanken nachhing, fiel mein erster Blick auf Schutt und Erdreich: der Garten wird neu gestaltet und um Barrierefreiheit im Ordinariat zu ermöglichen, muss ein zweiter Aufzug installiert werden. Erst auf den zweiten - oder war es gar der dritte? - Blick sah ich am Boden, da und dort, trotz der Trockenheit, die geherrscht hat, Leben. Primeln und andere Blumen drängen aus dem Erdreich zutage. Leben bricht sich Bahn. Unweigerlich musste ich an ein Telefonat mit einem der griechisch-unierten Weihbischöfe von Lemberg denken, das ich während dieser Fastenzeit geführt habe. In der Ukraine ist bekanntlich Krieg. Mein bischöflicher Bruder wurde und wird bei unseren Kontakten, die wir über die sozialen Medien pflegen, nicht müde, das Leben in Erinnerung zu rufen als den Sieger über den Tod, über das Elend, ja über das Böse. War sein erstes Foto das einer Trauung - kurz bevor der frischgebackene Ehemann in den Krieg zog, so war es gestern das Foto der Taufe eines "Kriegskindes", wie er es nannte. Immer wieder fügt er hinzu: "Das Leben lebt!"
2. Kann ich mit diesen österlichen Augen auf die Wirklichkeit dieser Welt schauen? Die geprägt ist von Pandemie, von Krieg - nicht nur in der Ukraine -, von Terror, von Missverständnissen und Auseinander im Kleinen wie im Großen der Gesellschaft, die stöhnt unter den Folgen des Klimawandels, in der sich Hunger breitmacht und Flüchtlingselend, die eine Teuerungswelle und damit auch die Gefahr von größerer Verarmung mit sich bringt, die da und dort im persönlichen wie im gesellschaftlichen Leben nur so von Schutthaufen an Schuld, an Leid und Elend geprägt zu sein scheint? Wenn ich den Völkerapostel aus der österlichen Lesung des heutigen Tages der Auferstehung ernstnehme, dann muss ich alles hier in der Welt doch etwas gelassener sehen, da es gilt, als in Christus Auferweckte nach dem zu streben, was oben ist: "Richtet euren Sinn auf das, was oben ist, nicht auf das Irdische!" - Mache ich es mir damit aber nicht zu leicht?
3. Noch einmal ein Blick in den Garten: Schutt und Erdreich werden noch eine Zeitlang den Ton angeben, die Weintrauben und das Gemüse werden dort heuer leider nicht reichlich sprießen. Und dennoch: Es gibt Leben, wohin das Auge schaut - anders eben als gewohnt und erwartet. Die Wahrnehmung - auch des gesellschaftlichen und des kirchlichen Lebens - kann von alledem geprägt sein, was nicht geht, was an Forderungen vielleicht schon seit Jahrzehnten scheinbar verhallt und was vermeintlich wichtigen Entwicklungen als Hemmschuh entgegenzustehen scheint. Wir sind leider versucht, einen solchen pessimistischen Blick hinein ins Grab des Lebens zu werfen und suhlen uns mitunter dann auch noch darin, müssen aber auch achselzuckend zur Kenntnis nehmen: Neues Leben bricht sich trotz aller Widerstände da und dort und immer wieder Bahn. Ja: es ist anders, aber es ist Leben. Auch wenn es weniger ist als die Üppigkeit der vegangenen Jahre: unter den gegebenen Umständen ist es Leben pur. Wenn etwa unser Papst auf das Leben des gemeinsamen Unterwegsseins als Kirche aufmerksam macht, das auch ein neues "Lernen des Zuhörens" bedeutet, dann ist er und sind nun auch wir mit dem weltweiten Leben der Synode, ja des synodalen, gemeinsamen Weges meines Erachtens am Puls der Zeit. Also bemühen wir uns doch drum: Nicht der Blick hinein in das Dunkel des Grabes und damit des Absterbens lässt Lebenshoffnung keimen, sondern die über Jahrhunderte Jahr für Jahr auch in die schrecklichsten Momente der Menschheit hinein verkündete Botschaft, die uns auf ewig Hoffnung zusagt: "Christus ist auferstanden. Ja er ist wahrhaft auferstanden!"