Selig, die nicht sehen und doch glauben.
„Acht Tage darauf waren seine Jünger wieder drinnen versammelt und Thomas war dabei!“ Das, was die Jünger Jesu am ersten Wochentag nach dem Tod Jesu erfahren haben, hat sie nach einer Woche wieder zusammengeführt. Im Johannesevangelium ist der erste Wochentag nach dem Sabbat bereits der Tag der Versammlung der Christen.
- Vor einer Woche ist uns in der Osternacht verkündigt worden, dass die Botschaft von der Auferstehung in den Jüngern „Furcht und große Freude“ ausgelöst hat.
Auch im heutigen Evangelium wird berichtet, dass die Freunde Jesu „bei verschlossenen Türen beisammen waren“ – ängstlich und verschlossen auch noch eine Woche später. Dass sie Jesus als Lebendem begegnet sind, hat sie zwar erfreut, aber, wie sie mit dieser neuen Wirklichkeit umgehen sollten und was Jesu Auferstehung für sie bedeutet, mussten sie erst noch erfahren und einüben.
Jesus sagt ihnen: „Fürchtet euch nicht!... Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch!“ In der Tradition des Johannesevangeliums hat der Auferstandene mit diesem Auftrag seine Kirche gegründet und gesendet.
Dass die Kirche, ihre Glieder, wir, bereit und fähig werden, der neuen Lebendigkeit Jesu, und das heißt: seinem Werk der Versöhnung, der Sündenvergebung zu dienen, bedarf es der Ausgießung des Heiligen Geistes.
Die inneren Widerstände gegenüber dem Auftrag Jesu, zu tun, was er gewollt und getan hat, haben sich im Verlauf der Kirchengeschichte immer wieder bei uns eingenistet. „Angst und Verschlossenheit“ in und bei uns müssen auch heute von Jesus und seinem Geist überwunden werden.
- Die Geschichte vom „ungläubigen Thomas“ wird uns nicht nur als historische Episode erzählt: Thomas steht für eine bestimmte Situation und für ein uns bekanntes Verhalten.
Zunächst war es der Zweifel über die Erscheinung Jesu und die Oster-Botschaft auch bei einigen Jüngern, die nach Matthäus den Auferstandenen gesehen haben (Mt 28,17): waren das nur Hirngespinste, Einbildungen, Phantastereien? - Sogar die Apostel haben zunächst die Botschaft der Frauen als „Geschwätz“ abgetan (Lk 24,10). - Paulus hat auf dem Areopag in Athen erfahren, dass er mit der Verkündigung von der Auferstehung zunächst nur Zweifel, Spott und Ablehnung geerntet hat.
Thomas war zunächst kein „Augenzeuge“, ihm wurde die Botschaft, dass Jesu lebt, von anderen übermittelt. Er steht sozusagen „stellvertretend“ für Menschen, die mit Zweifel auf die Botschaft von der Auferstehung Jesu reagieren. Deshalb ist Thomas vielen von uns nahe, denn „er verkörpert eine bestimmte ‚Grundhaltung‘ mit einem bestimmten ‚Wirklichkeitsverständnis‘; ihm geht es um eine handgreiflich-verfügende Vergewisserung“[1], er verlangt eine empirische Bestätigung.
Von Papst Gregor dem Großen, einem der großen lateinischen Kirchenväter, stammt der Satz aus einer Predigt: „Zum Glauben nützt uns der Unglaube des Thomas mehr als der Glaube der glaubenden Jünger.“[2]
- In der Gemeinschaft der Glaubenden, in die er am achten Tag gekommen ist, erfährt Thomas das, was Jesus versprochen hat: wo Menschen in seinem Namen beisammen sind, ist er mitten unter ihnen (Mt 18,20).
Im Gottesdienst der Kirche wird uns die Gegenwart des auferstandenen Herrn geschenkt. Hier spricht er zu uns, hier dürfen wir zu ihm mit unserer Freude und Hoffnung, unserer Trauer und unseren Ängsten kommen.
Und an noch ein Wort Jesu werden wir durch dieses Evangelium erinnert: „Streck deine Finger hierher aus und sieh meine Hände! Streck deine Hand aus und leg sie in meine Seite!“ In der Gerichtsrede sagt Jesus: „Ich war hungrig, durstig, fremd, nackt, krank, ich war im Gefängnis: …Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan!“ In der Zuwendung zu den Verletzten, Armen und Leidenden berühren und begegnen wir Christus.
Thomas spricht in seiner Antwort die höchste Form des Christus-Bekenntnisses aus: „Mein Herr und mein Gott!“ Und viele, die sich den Notleidenden helfend zugewendet haben, haben unbewusst dieses Bekenntnis abgelegt, indem sie Christus in den Menschen gedient haben. Auch ihnen und hoffentlich auch uns gilt das Wort Jesu: „Selig, die nicht sehen und doch glauben.“
[1] J. Blank, a.a.O., S. 187;
[2] Gregor d.Gr. (540-604), „Plus enim nobis Thomae infidelitas ad fidem quam fides credentium discipulorum profuit.“ Dom. 26,7-9.